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ComIn - Interview mit Ricarda Wank: Diese Menschen wollen in Deutschland ankommen

ComIn als Projekt von Handicap International e.V. (HI) ist zum 31.12.2020 ausgelaufen.

Zu sehen ist Ricarda Wank, die sich in einem Beratungsgespräch mit einem Mann befindet.

Ricarda Wank in einem Beratungsgespräch | © HI

Aus welchen Ländern kommen die Teilnehmenden von ComIn?

Die meisten Geflüchteten mit Behinderung, die zu ComIn in München kommen, kommen aus Ländern, in denen Handicap International auch im Ausland tätig ist, z.B. aus Syrien, Afghanistan, dem Irak, Somalia oder Nigeria, sowie aus weiteren über 20 Ländern in Asien und Afrika.

 

Wie können Geflüchtete mit ComIn Kontakt aufnehmen?

Meist werden sie von Beratungsstellen oder Betreuer*innen in Unterkünften für Geflüchtete an uns verwiesen. Wenn beispielsweise ein Rollstuhl gebraucht wird oder eine Mobilitätsförderung nötig ist, sei es mit Rollstuhl, Krücken oder Blindenstock. Bei ComIn lernen die Geflüchteten dann, wie sie richtig mit Hilfsgeräten umgehen und sich langfristig selbstständig fortbewegen können. Ansonsten machen wir je nach Möglichkeit und Gegebenheiten behinderungsspezifische Beratung.

 

Wie lange werden die Geflüchteten betreut und beraten? Was ist euer Angebot?

Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt Leute die nur für ganz kurze Zeit bei ComIn sind, weil sie dann z.B. in eine andere Unterkunft verlegt werden. Maßnahmen wie unsere Computerkurse sind für alle Asylsuchenden und Geflüchteten zugänglich, nur der Deutschkurs ist ausschließlich für Menschen mit Einschränkungen oder Behinderung und Fluchthintergrund. Die Menschen sind entweder erst einige Wochen hier in München oder schon Monate oder Jahre, ohne dass sie eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben. Auch bei diversen Antragsstellungen für gleichberechtigte Teilhabe wie Schulfahrten, Hilfsmittel (z.B. Hörgeräte), logopädisches Training, Reparaturen, etc. hilft ComIn. Manchmal vermitteln wir Praktika, wenn Menschen z.B. bereits im Heimatland in einem gewissen Bereich tätig waren, sei es beruflich oder privat. Bei einem Ausbildungsplatz unterstützt die Arbeitsagentur leider erst nach einer Wartezeit von vier Jahren, um eventuelle Kosten für Berufsbildungswerke oder arbeitsamtsgeförderte Ausbildungen zu übernehmen. Das ist eine lange Wartezeit für viele Menschen, die ungenutzt verstreicht, auch für jugendliche Geflüchtete ohne Behinderung, die eigentlich sinnvoller genutzt werden könnte und sollte.

 

Wie gestaltet sich der Deutschförderkurs?

Der Deutschförderkurs findet dreimal pro Woche statt. Die Gruppe ist offen, neue Teilnehmer*innen können jederzeit dazukommen, damit keine langen Wartezeiten für die Betroffenen entstehen. Die Gruppe ist sehr gemischt, sowohl im Blick auf die sprachlichen Voraussetzungen wie auch auf Alter und Lernfähigkeiten. Manche haben sich bereits Kenntnisse angeeignet, andere haben noch gar keine Deutschkenntnisse oder müssen erst alphabetisiert werden. Durch die unterschiedlichen Niveaus können sich die Teilnehmer*innen z.T. aber auch gegenseitig helfen. Falls es mal zu Verständnisproblemen kommt, übersetzt einfach einer der Teilnehmer*innen, der schon etwas fortgeschrittener Kenntnisse aufweist, beispielsweise vom Deutschen ins Arabische. Natürlich hätte es aber auch Vorteile, wenn es von Regelkursanbietern einfach Kurse gäbe, in denen speziell auf die Einschränkungen der einzelnen Behinderungen eingegangen werden würde. Eine Hamburger Sprachschule für Schwerhörige und Gehörlose führt inzwischen bundesweit in größeren Städten entsprechende Kurse unregelmäßig durch -  allerdings eben ausschließlich für Menschen mit dieser Beeinträchtigung.

Menschen mit Sehbehinderung wiederum benötigen ganz andere Unterstützung, um am Unterricht teilnehmen zu können, es wäre aber lösbar mit elektronischen Hilfsmitteln. Allerdings ist hier der Anreiz für die Regel-Deutschkursanbieter nicht so groß, da von Kostenträgern meist keine zusätzlichen Unterstützungen für die Mehrarbeit geleistet werden. Unsere Checks bei Deutschkursanbietern über die Jahre haben zwar ein erstes Umdenken für Rollstuhlfahrer*innen bewirkt, aber kaum für die anderen Behinderungsarten.

 

Was wenn ein/e Teilnehmer*n bei ComIn überdurchschnittlich gute Kenntnisse erlernt hat?

In solchen Fällen versuchen wir die Kursteilnehmer*innen immer an reguläre Deutschkursanbieter weiter zu vermitteln. Bei Ausbildung und Beruf werden viele jedoch enttäuscht, da die Anerkennung von Abschlüssen oder Ausbildungen oft versagt wird oder niedriger eingestuft wird. Überhaupt ändert sich der Blick auf die Situation in Deutschland bei vielen Geflüchteten im Laufe der Zeit. Zunächst sehen die meisten Deutschland und Europa als sehr wohlhabende und besser auf Behinderung angepasste Länder. Das stimmt z.T. für die bessere Mobilität im öffentlichen Nahverkehr in größeren Städten oder z.T. für die besser ausgebaute gesundheitliche Versorgung. Doch hier angekommen, ändert sich diese Wahrnehmung mit der Zeit. Die Erwartungen und Hoffnungen auf Eingliederung und aktive Teilhabe werden in Deutschland nur bedingt erfüllt, was auch an unterschiedlichen Voraussetzungen und im Heimatland erworbenen oder nicht erworbenen Kenntnissen liegt.

Hinzu kommt, dass die Geflüchteten vieles zurückgelassen haben, besonders die Angehörigen, das belastet sie natürlich auch. Manchen fehlt irgendwann die Motivation, am Morgen aufzustehen, einige bekommen auch Depressionen. Deshalb haben Angebote wie unsere Kurse auch den Sinn, sich soziale Netzwerke zu schaffen, einen gewissen Alltag zu leben, anstatt den ganzen Tag nur in der Unterkunft zu verbringen und die Zeit abzusitzen. Viele hier möchten richtig in Deutschland ankommen, ein Leben aufbauen. Wobei Inklusion in Deutschland für alle Lebensbereiche wie Schule, Ausbildung, erster Arbeitsmarkt, Freizeit, Mobilität, Gleichberechtigung und Chancengleichheit noch zu wenig umgesetzt ist. Es ist auch hier noch ein schwieriger Weg, ob mit oder ohne Fluchthintergrund.

Logo von ComIn

ComIn als Projekt von Handicap International e.V. (HI) ist zum 31.12.2020 ausgelaufen.

Das Projekt ComIn wurde gefördert von:

Logo des Sozialreferats der Landeshauptstadt München

Logo der BNP Paribas Stiftung

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