Die Hilfsorganisation Handicap International unterstreicht, dass ein inakzeptabel hoher Anteil von Zivilisten durch Bombenangriffe, explosive Kriegsreste, Landminen, Streumunition etc. getötet oder verstümmelt wurde. Die Organisation ACLED (The Armed Conflict Location & Event Data Project) hat seit März 2015 schon 18.000 Luftangriffe verzeichnet. Beobachter berichten über einen systematischen und weitverbreiteten Gebrauch von Antipersonenminen in mehreren Regionen des Landes. Jemen zählt heute zu einem der meistverseuchten Länder der Welt, wenn es um explosive Kriegsreste, Landminen, improvisierte Sprengkörper und andere Waffen geht. Diese bedrohen permanent das Leben der eingeschlossenen Zivilbevölkerung.
Trotz internationalen Verbots sind Opfer durch Landminen zu beklagen
Seit Beginn ihrer Arbeit im Jahr 2015 hat HI über 4.500 Opfer des Konflikts versorgt. Etwa 2.500 von ihnen waren Überlebende von Unfällen mit Explosivwaffen: beispielsweise Bomben, explosive Kriegsreste und improvisierte Sprengkörper. Allein 300 von ihnen sind Opfer von Landminen. Große Gebiete sind mit einer ganzen Palette an Waffen verseucht, die durch internationale Verträge verboten sind. Die Organisation Action on Armed Violence (AOAV) registrierte zwischen 2015 und 2017 ca. 14.000 Tote und Verletzte infolge explosiver Gewalt. 76 Prozent der Betroffenen stammten aus der Zivilbevölkerung, 72 Prozent der Unfälle ereigneten sich mit aus der Luft abgefeuerten Waffen.
Notfallversorgung mit Reha-Maßnahmen und psychologischer Unterstützung
Da Landminenunfälle häufig zu Amputationen der unteren Gliedmaßen führen, hat HI eine Notfallversorgung mit Reha-Maßnahmen aufgebaut, um die speziellen Bedürfnisse von Kriegsversehrten abzudecken. Durch Bombenangriffe entstehen komplexe Verletzungen wie offene Wunden, Brüche, Verbrennungen, zerstörte Muskeln und beschädigte Nervensysteme. Wenn nicht ab dem Folgetag einer Operation mit Reha-Maßnahmen begonnen wird, kann es zu Mobilitätsverlust und Behinderungen kommen, die oft zu sozialer und beruflicher Ausgrenzung sowie geringerem Einkommen und der Verarmung von Familien führen. Maud Bellon, Programmdirektorin von HI in Jemen, betont:
„Die Verletzten, um die wir uns kümmern, sind durch die bewaffnete Gewalt traumatisiert, stehen unter Schock oder leiden an Depressionen. Neben der körperlichen Rehabilitation – bis hin zu einer Prothese – bieten wir den Patienten auch psychologische Unterstützung, damit sie ihre neue Situation besser akzeptieren können. Menschen stehen unter Schock, wenn sie einen Körperteil verlieren, und können ihre Prothese oft nur schwer annehmen. Daher verbinden wir die Rehabilitation immer mit psychologischer Unterstützung – denn diese kommt in Krisen oft zu kurz.“
Komplexe Krise mit verheerenden Folgen
Der weitverbreitete und wiederholte Einsatz von explosiven Waffen bewirkt einen Domino-Effekt. Nach vier Jahren Konflikt ist das Land im Chaos versunken: Jeden Monat werden 600 öffentliche Einrichtungen zerstört oder beschädigt, insbesondere medizinische Einrichtungen (50 Prozent sind nicht mehr betriebsfähig, obwohl der Bedarf enorm steigt); die Wirtschaft ist zusammengebrochen. Dies verursacht Inflation und Knappheit – vor allem bei Nahrungsmitteln – und führt zur Vertreibung der Bevölkerung. 80 Prozent der Bevölkerung brauchen aktuell in irgendeiner Form humanitäre Hilfe.
Hilfe für Zehntausende Patienten
HI arbeitet in den Regionen Sana‘a und Amanat al Asima in zwei Rehabilitationszentren und in sechs der größten Krankenhäuser Jemens, wo Patienten aus allen Regionen des Landes behandelt werden. Handicap International hat innerhalb von vier Jahren insgesamt über 20.000 Menschen unterstützt, von denen 20.000 Rehabilitation oder Konsultationen erhalten haben. Die Organisation hat mehr als 21.000 Krücken, Rollatoren, Rollstühle etc. verteilt. Darüber hinaus haben über 20.000 Betroffene psychologische Unterstützung erhalten. 200 Patienten wurden in Zusammenarbeit mit dem Reha- und Orthopädiezentrum in Sana‘a mit Prothesen oder Orthesen ausgestattet. Über 500 lokale Gesundheitsfachkräfte wurden sensibilisiert und für die Versorgung von Traumatisierten geschult. Die Teams von HI beginnen derzeit ähnliche Aktivitäten in Aden und werden bald in den Regionen Taez, Hajjah und in der Stadt Hudeidah tätig werden.
Stop Bombing Civilians
Mit ihrer internationalen Kampagne Stop Bombing Civilians, die im März 2016 gestartet wurde, ruft HI alle Regierungen dazu auf, eine politische Erklärung gegen den Gebrauch von explosiven Waffen in bewohnten Gebieten zu erstellen und so die Zivilbevölkerung in Kriegsgebieten besser zu schützen. HI ruft die breite Öffentlichkeit dazu auf, die internationale Petition zu unterzeichnen. Bislang wurde die Petition bereits von 436.000 Menschen unterzeichnet.
Foto: Abdo Omar Dab im Rehabilitationszentrum Sana'a. © ISNA Agency / HI