Co-Preisträgerin Friedensnobelpreis

„Meine Mutter räumt Minen“

Liby kämpft jeden Tag dafür, dass ihre Heimat ein bisschen sicherer wird. Die Angst ist immer dabei, erzählt die Kolumbianerin. Seit sie denken kann, hat sie Angst, da in ihrer Gegend im Süden der Hauptstadt Bogotá seit Jahrzehnten unzählige Minen liegen. Sie hat Angst, dass ihren Kindern etwas passiert. Und sie hat Angst, dass ihr selber etwas zustößt. Doch wenn sie auf den Knien Meter für Meter über den Boden rutscht und nach Minen sucht, dann ist sie ganz ruhig und konzentriert. Liby ist eine der Entminerinnen von Handicap International (HI). Die gemeinnützige Organisation hat seit 2017 mehr als 600.000 Quadratmeter Land in Kolumbien geräumt.

Liby Karina steht in ihrer Schutzausrüstung auf einem Feld, dass geräumt werden soll.

Liby ist stolz, dass Frauen als Entminerinnnen arbeiten können: "Wir können das!" | © HI

„Ich helfe dabei, dass die Menschen hier in der Gegend ohne Furcht leben können und dass sie auf ihre Felder zurückkehren können. Solange nicht geräumt ist und das Gebiet für sicher erklärt wird, kann keiner da hin“, erzählt Liby mit ruhiger Stimme. „Ich möchte, dass meine Kinder ein besseres Leben haben“, fügt sie hinzu und sagt, dass ihre Kinder wahnsinnig stolz auf sie seien. „Sie erzählen: Meine Mutter räumt Minen! Aber sie haben auch Angst, dass ich nicht zurückkomme.“

„Wir sind Kämpferinnen!“

Liby Lenis ist 29 Jahre alt und räumt seit drei Jahren genau in der Gegend Minen, in der sie selber aufgewachsen ist. Als sie 15 Jahre alt war, hatten ihre Eltern Angst, dass bewaffnete Gruppen sie und ihren Bruder mitnehmen und zwangsrekrutieren würden. Sie mussten den kleinen Hof überstürzt verlassen und flohen in die nächste Kleinstadt, nach Vista Hermosa. In der Gegend arbeiten heute allein elf Frauen als Entminerinnen für HI. Morgens marschieren sie ca. eine Stunde durch das Gelände bis zu den abgesteckten Flächen. Liby lächelt stolz: „Es ist eine Arbeit, die nicht nur Männer machen können. Wir Frauen sind ordentlich, genauer und vorsichtiger. Wir wollen auch, dass andere Frauen sehen, dass man diese Arbeit machen kann – als Frau! Wir glauben an uns selber! Wir können das! Wir leben in einer Welt, wo Frauen als schwach angesehen werden und als Hausfrauen leben sollen. Wir aber zeigen den Männern und dem ganzen Dorf und der ganzen Welt, dass wir das können! Wir sind Kämpferinnen, und unsere Kollegen sind stolz auf uns Frauen."

© J.M. Vargas I HI

Mit schwerer Ausrüstung laufen die Entminer*innen von Handicap International durch das Gelände. Bisher ist nur der Weg sicher.

„Wir wissen nie, ob etwas passiert.“

„Die Menschen hier haben großen Respekt vor den Entminerinnen und Entminern“, erzählt die alleinerziehende Mutter von Jorge und Carol – die Großmutter kümmert sich um die beiden, wenn sie im Einsatz ist. „Während der Arbeit habe ich keine Angst, aber wir sind immer sehr angespannt. Wir wissen nie, ob etwas passiert. Ich weiß nie, ob ich mein Leben verliere“, erklärt sie und fügt an, wie mühsam die Arbeit sei, wie heiß unter der Schutzausrüstung und wie anstrengend, sich hundertprozentig konzentrieren zu müssen – immer! „Das Leben lehrt uns, dass wir trotz so viel Leid, Positives sehen müssen. Meine Kinder sollen das nicht erleben, wie ich als Kind gelebt habe. Sie sollen es besser haben. Dafür kämpfe ich jeden Tag zusammen mit meinem Team von Handicap International.“

©HI

Liby bei ihrer Arbeit als Entminerin

Die Kinder kennen das seit Geburt

Allein rund um Vista Hermosa sind noch viele verminte Gebiete. Bisher wurden 54.000 m² geräumt und über 50 Minen gefunden. 38.000 m² fehlen noch. Doch die Menschen wissen, wo sie laufen dürfen, welche Wege als sicher gelten. Den Kindern wird das von Anfang an beigebracht. „Wir erzählen den Kindern immer und immer wieder, dass sie vorsichtig sein müssen, dass sie nicht einfach irgendwohin gehen dürfen. Wir sagen ihnen, dass sie nie etwas aufheben dürfen. Die kennen das seit Geburt“, berichtet Liby. Noch heute sind 30 von 32 Regionen in Kolumbien vermint.