Co-Preisträgerin Friedensnobelpreis

Rehabilitation und HI

Seit Beginn der Arbeit von Handicap International in den 1980er Jahren stellt Rehabilitation von Menschen mit Behinderung eine der zentralen Aufgaben unserer Organisation dar.

Salam sitzt auf einer Bank. Ihre Therapeutin kniet vor ihr und passt ihre Prothese an.

Salam aus Jordanien macht dank den Physiotherapeuten von HI große Fortschritte. | © S.Khlaifat / HI

Was ist Rehabilitation?

Stand 2021 weisen weltweit etwa 2,4 Milliarden Menschen einen Bedarf nach Rehabilitationsmaßnahmen auf. 190 Millionen von ihnen, die älter als 15 Jahre sind, haben schwere körperliche Einschränkungen, die Rehabilitation erfordern.

Rehabilitation – kurz Reha – ist ein vielschichtiger Begriff, der umgangssprachlich vor allem medizinische oder physiotherapeutische Unterstützung nach Unfällen meint. Darüber hinaus kann sich Reha aber auch auf intellektuelle, kognitive oder geistige Aspekte des Lebens beziehen. Laut WHO ist Rehabilitation definiert als eine Reihe von Maßnahmen, die darauf abzielen, die Funktionsfähigkeit von Personen zu erhöhen und die Behinderung von Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen in Interaktion mit ihrer Umwelt zu reduzieren.  Das gemeinsame Ziel von Rehabilitation (in allen Bereichen) ist es demnach, die gesellschaftliche Teilhabe und Inklusion der Menschen zu fördern oder wiederherzustellen. So trägt Rehabilitation – im Sinne des Mottos der Agenda 2030, „Leave No One Behind“ – auf einer individuellen Ebene zu dem Ziel einer inklusiven Gesellschaft bei.

Warum unterstützt HI Rehabilitation?

Die verbreitete gesundheitlich-medizinische Perspektive auf Rehabilitation beschäftigt sich zum einen damit, Menschen mit den notwendigen Hilfsmitteln (Prothesen, Orthesen, Rollstühle, Hörgeräte und vieles mehr) zu versorgen und ihre Verwendung zu schulen. Zum anderen konzentriert sich Reha auf den Prozess, bei dem der Körper trainiert wird, Einschränkung entweder selbst zu heilen oder so auszugleichen, dass durch die korrekte Anwendung von Hilfsmitteln Eigenständigkeit und Selbstständigkeit erzielt wird. 
Obwohl Reha-Maßnahmen häufig erst nach Unfällen und Verletzungen eingeleitet werden, kann Reha auch präventiv eingesetzt werden. Reha kann so das Auftreten einer Behinderung verhindern oder die Verschlechterung einer Körperbehinderung oder Krankheit verlangsamen und stoppen. Damit können präventive Reha-Maßnahmen eine nachhaltige Investition gegen lange Krankenhausaufenthalte und für eine inklusive Gesellschaft sein. 

In vielen Ländern, besonders aber in Regionen mit niedrigem und mittlerem Einkommen, sind Reha-Angebote nicht Teil der allgemeinen Gesundheitsversorgung. Häufig mangelt es zudem an qualifizierten Einrichtungen, Fachkräften oder Hilfsmitteln, um den Bedarf abzudecken. „Reha sollte auf allen Ebenen erreichbar sein, als Frührehabilitation im Krankenhaus (postakute Phase), als Anschlussrehabilitation und auch in der Langzeitversorgung. Dies ist schon in Deutschland nur eingeschränkt gewährleistet. Im globalen Süden stellt dieser Mangel natürlich noch ein viel größeres Problem dar“, sagt Uta Prehl, HI-Spezialistin für Rehabilitation in Westafrika. In Afghanistan beispielsweise leben 90 % der Bevölkerung mehr als 100 km vom nächsten Reha-Angebot entfernt. In Laos arbeiteten 2019 nur 200 der 1.000 statistisch benötigten Reha-Expert*innen.  Schließlich sind Reha-Angebote fast überall, besonders aber in den Ländern mit geringer Verfügbarkeit, sehr teuer und für normal- oder geringverdienende Menschen häufig nicht zu finanzieren.

Damit ist Rehabilitation eine der zentralen Herausforderungen für die globalen Gesundheitssysteme des 21. Jahrhunderts. Um dieser Herausforderung zu begegnen, muss die Bedeutung von Rehabilitation auf allen politischen Ebenen wahrgenommen, anerkannt und umgesetzt werden.

© Thomas Freteur / HI

Trésor aus dem Kongo im Gespräch mit dem Rehabilitationsbeauftragen von HI.

Wie unterstützt HI Rehabilitation?

Im Lichte der Covid-19-Pandemie hat die 73. Generalversammlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) das Jahr 2021 einstimmig zum Internationalen Jahr der Gesundheits- und Pflegearbeiter*innen ernannt.  Um diese Aufmerksamkeit auf den Gesundheitssektor und auch die Rolle der Rehabilitation zu nutzen, ist dies 2021 auch Kernthema der politischen Arbeit von Handicap International (HI).

Ziel ist es, dass alle Menschen ein für ihren individuellen Bedarf entsprechendes Reha-Angebot erhalten. Dafür versuchen wir neben unserer Programmarbeit auch die politischen Rahmenbedingungen in Deutschland, der EU oder der WHO zu beeinflussen und Rehabilitation als Priorität auf die jeweilige politische Agenda zu setzen.

Die Verabschiedung der Resolution „The highest attainable standards of health for persons with disabilities” der Generalversammlung der WHO im Mai 2021 war ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung.  Die Resolution wurde maßgeblich durch HI mitgeprägt und strebt eine Verstärkung und Übernahme der Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung in die Angebote der staatlichen allgemeinen Gesundheitsversorgung an. 

Auf internationaler Ebene setzt sich Handicap International dafür ein, dass Rehabilitation, ähnlich wie im Vorfeld die allgemeinen medizinischen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung, als elementarer Bestandteil der allgemeinen Gesundheitsversorgung (Universal Health Coverage) angesehen und gesetzlich verankert wird. Nur so kann dem Irrglauben, dass es sich bei Rehabilitation um Luxus und oftmals unnötige Maßnahmen handelt, begegnet werden. Das Gegenteil ist sowohl in Bezug auf die betroffenen Personen als auch für die Volkswirtschaft der Fall. Beide profitieren von rechtzeitiger und effektiver Rehabilitation. 

Um dies zu erreichen, kooperieren wir auf der nationalen Ebene eng mit staatlichen Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit. Als entscheidender Staat in der Entwicklungszusammenarbeit ist es unser Ziel, deutsche Ministerien und Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit weiter für die Notwendigkeit einer inklusiven, allgemein-zugänglichen und bezahlbaren Reha zu sensibilisieren. „Es ist notwendig eine sinnvolle Koordination zwischen Ministerien (Gesundheitsministerium und dem Ministerium für Arbeit und Soziales) anzustreben, wobei das Gesundheitsministerium eine klare Verantwortung tragen muss, so dass Rehabilitation als Teil der Gesundheitsversorgung angesehen wird und dafür Gelder bereitgestellt werden“, sagt Uta Prehl, HI-Spezialistin für Rehabilitation in Westafrika. Durch den Einfluss von Deutschland können dann auch Partnerländer der Entwicklungszusammenarbeit von der Wichtigkeit überzeugt werden, Reha-Maßnahmen in die allgemeine Gesundheitsversorgung für alle Bürger*innen aufzunehmen und auch die EZ-Programme entsprechend auszurichten.

Der Weg zur Rehabilitations-Resolution

Derzeit arbeitet HI gemeinsam mit anderen Partnerorganisationen innerhalb der Global Rehabilitation Alliance (GRA) daran, eine Resolution „Rehabilitation für Alle“ vorzubereiten. Diese soll 2022 auf der Generalversammlung der Weltgesundheitsorganisation (World Health Assembly, WHA) verhandelt und abgestimmt werden. Das Ziel von Handicap International und vielen Partner*innen ist die Verabschiedung einer starken WHA-Resolution, in der sich die Länder dazu verpflichten, Rehabilitation und all ihre Teilbereiche, wie Beratung, Untersuchung, Hilfsmittelversorgung, Trainings etc., in ihre nationalen allgemeinen Gesundheitssysteme zu integrieren. 

Eine Reha-Resolution wird dabei helfen, die politische Agenda aller Länder zu verändern und Entwicklungszusammenarbeit neu und nachhaltig auf den Reha-Bereich zu konzentrieren. Rehabilitation wird so als fester Bestandteil der Gesundheitsversorgung, sozusagen als continuum of care, anerkannt. 

Rehabilitation ermöglicht es Menschen, ihr volles Potenzial zu leben. Das oberste Ziel der Rehabilitation ist die volle Teilhabe und Einbeziehung in die Gesellschaft. Nur wenn Rehabilitation zu einer politischen Priorität wird, werden wir in der Lage sein, angemessen auf die enormen ungedeckten Bedürfnisse zu reagieren, das Menschenrecht auf Gesundheit für alle zu verwirklichen und die Inklusion in unseren Gesellschaften voranzutreiben.