Co-Preisträgerin Friedensnobelpreis

Reiseblog von Model Mario Galla in Kambodscha

Mario Galla, prominentes Fotomodell mit Prothese, war 2014 unterwegs in Kambodscha, um dort Minenüberlebende zu treffen und die Projekte von Handicap International zu besuchen. Ein Reisebericht.

Mario Galla sitzt rechts von Kanha auf der Schulbank. Beide haben die Arme verschränkt und lächeln in die Kamera.

Mario Galla drückt erneut die Schulbank - hier mit Kanha in Kambodscha. | © Paul James Hay / Handicap International

Reisetag 1 - Zwei Sofas auf einem Mofa, willkommen in Kambodscha

Nach fast 38 Stunden Reisezeit mit 8 Stunden Zwischenstopp in Abu Dhabi und einer schlaflosen Nacht in Bangkok bin ich endlich in Phnom Penh, der kambodschanischen Hauptstadt, angekommen. Ich wurde gleich von den ersten Eindrücken dieser Stadt erschlagen. Tausende Motorroller drängeln sich hupend durch den Smog an vereinzelten Nobelkarossen und Tuk Tuks (so heißen kambodschanische Mofa-Rikschas) vorbei, auf denen gut und gerne mal zwei Sofas oder alternativ dazu die ganze Familie transportiert wird. Auch wenn die Stadt auf den ersten Blick sehr stressig erscheint, herrscht hier dennoch ein positiver und nahezu relaxter Vibe. Diese positive Grundstimmung wurde auch durch das mega freshe und dope Team von Handicap International (Friederike und Ruppert) an uns (Paul und mich) in Form einer sehr herzlichen Begrüßung weitergetragen.

Kanha und Mario sitzen sich über Eck gegenüber, ein Hosenbein hochgezogen, vergleichen sie ihre Prothesen.Einen Tag und gefühlte 48 Lok Laks (Fleisch auf einem Salatbett, in allen Variationen) später, führt uns ein 200 km langer Schotterweg in die Nähe von Kampong Cham, wo wir Kanha treffen, ein 14-jähriges Mädchen, das mit sechs Jahren ihren Vater und ihr linkes Bein durch einen Blindgänger verloren hat - eine Geschichte, wie sie häufig zu finden ist, in einem Land, in dem fast drei MILLIONEN grausamer Tötungsinstrumente wie Landminen und Streuomben und ähnlich verteilt wurden. Wir haben Kanha in ihrer Schule getroffen, wo wir uns mithilfe unseres kambodschanischen Begleiters Mr. Sopha von Handicap International unterhalten haben. Als wir dann noch ein paar Fotos gemacht haben, hat sie mir ein bisschen Nachhilfe in Sachen Posing gegeben.

Anschließend haben wir zwei weitere Opfer von nicht explodierten Kriegsresten besucht, die in den ländlicheren Regionen leben und mit Kanha das gleiche Schicksal teilen. Die Menschen leben hier, naja, ich sag mal: puristisch. Doch trotz der großen Lebenseinschnitte haben sie stets ihren Lebensmut behalten, was mich enorm motiviert hat. Erst durch die Besuche bei diesen Menschen ist mir klar geworden, wie dringend man hier auf medizinische Versorgung angewiesen ist und welche enorme Bedeutung die Aufklärungsarbeit hat, damit in den Gemeinden und vor allem bei der jungen Generation ein Bewusstsein für das Minenproblem Kambodschas geschaffen wird, damit nicht noch mehr Kinder diese schreckliche Erfahrung wie Kanha machen müssen oder sogar sterben.

Kanha und viele weitere Opfer dieser Kriegsreste wurden übrigens von Handicap International mit Prothesen versorgt, bekommen regelmäßig Physiotherapie-Einheiten und können heute fast ohne Einschränkungen ihrem Leben nachgehen. Kanha hat mittlerweile ihre sechste Prothese bekommen, da sie so schnell wächst.

Ich verabschiede mich mit dem wunderbaren Motto auf Kanhas T-Shirt: Move – we can walk together!

Bleibt gesund!

Love always

Mario

Reisetag 2: Mario sprengt Blindgänger!

Der Wecker klingelt, wie bisher jeden Morgen in Kambodscha, um 6 Uhr!

Ich putze meine Zähne, schaue von der Terasse des Hotels und sehe die Fischer, wie sie auf den Mekong mit ihren Holzbooten hinausfahren, um ihre Netze auszuwerfen.

Anschließend schnell frisch gemacht, um eine Stunde später wieder vollgeschwizt mit dem Team im Bus zum CMAC Centre (Cambodian Mine Action Centre) zu fahren. Nach einem sehr informativen Vortrag über die Minen-Situation in Kambodscha, gehts weiter nach Meanchey, ein kleines Dorf mitten im Nirgendwo, das rundum von Minen und eingegrabenen Blindgängern umgeben ist. Das Team von CMAC gibt uns direkt vor dem Minenfeld, das geräumt werden soll, eine kleine Einweisung zur aktuellen Minen-Situation der Umgebung, und dann hieß es auch schon: “auf gehts in den ‘sicheren’ Bereich des Minenfeldes.”

Ehrlich gesagt, waren wir uns zunächst alle gar nicht so sicher, ob der “sichere Bereich” wirklich so ungefährlich war, aber nach den ersten paar Schritten hatten wir die vermeintliche Gefahr, die uns umgab, schon völlig ausgeblendet und gingen sorglos voran, fast wie ein paar Kleinkinder in der Sandkiste, aufregend! Während wir Fragen an die Minenräumer stellten, die wohl einen der gefährlichsten Jobs der Welt ausüben, und Fotos von diesen in ihren Panzer-Kevlar-Westen machten (keine Ahnung wie so eine Weste richtig benannt wird), fing ein Metalldetektor eines Minenräumers im hinteren Bereich des Feldes an zu piepen. Ähnlich wie mein morgendlicher Wecker, der leider auch immer lauter wird, schlug das Geräusch geigerzählermäßig an und die Minenräumer begannen, alles für die Sprengung des Blindgängers zu arrangieren.

Als dann alles präpariert war, hat das Team gemeinsam beschlossen, dass ich den Sprengvorgang mithilfe der Sprengkurbel auslösen sollte. Per Warndurchsage und Alarmsignal wurden kurzerhand alle Dorfbewohner in der Umgebung darauf aufmerksam gemacht, dass hier gleich was in die Luft gejagt werden würde. Also Mario ran an die Sprengkurbel, mit der die Sprengung etwa 40 m entfernt eingeleitet wurde, und kurbeln was das Zeug hält.

….3…..2…….1 BOOOM!

Ein lauter Knall und eine Minidruckwelle schleuderten meinen vorherigen Ruhepuls direkt auf 180. Die Explosion sah ein bisschen so aus wie bei Gallileo auf Pro7 (siehe Bild), aber das hier war halt Gallaleo in Kambodscha (sorry ich konnte mir dieses Wortspiel nicht verkneifen). Was für mich zugegebener Maßen ein riesiger Spaß war (wie Jungs nunmal sind, alles was knallt, ist geil), machte mir im nächsten Moment bewusst, wie verheerend es ausgehen muss, wenn ein Mensch auf diese Dinger tritt, ich meine, dafür wurden die Teile ja traurigerweise gebaut.

Nach diesem außergewöhnlichen und aufregendem Erlebnis ging es wieder zurück nach Kampong Cham, wo der Tag zur Abwechslung bei einem Chicken Curry und ein paar Bier langsam zu Ende ging.

In diesem Sinne passt auf euch auf und bleibt Gesund.

Love&Peace

Reisetag 3: Mario in rehab

Kurz nach dem English Breakfast in dem Stammrestaurant um die Ecke unseres Hotels, hieß es auschecken aus dem Mekong Hotel und ab in das Rehazentrum von Handicap International, welches ebenfalls in Kampong Cham ist. Dort angekommen begrüßt uns Channa, die wohl süßeste Fünfjährige der Welt (oder tickt hier meine biologische Uhr? Ne, das ist nur bei Frauen so, oder?). Channa sieht von der Entwicklung her jedoch eher aus wie eine Dreijährige, was vermutlich an der chronischen Mangelernährung liegt (ist bei vielen Kindern hier so). Wie auch immer, Channa war extreeem cool drauf und hat sich vor der Kamera schon wie ein kleiner Filmstar gegeben.

Zusammen mit ihrer Mama war Channah nun schon eine Woche in dem Rehazentrum, wo sie bereits ihre dritte Prothese bekommen sollte – sie wurde mit einem verkürzten Bein geboren. Ich fands cool, dass die (kleinen) Patienten, die oft von weit her kommen, mit ihrer Familie auf dem Gelände des Rehazentrums wohnen können und dort auch versorgt werden.

Jährlich werden in dem Zentrum ca. 2000 Patienten behandelt. Unter ihnen Minenopfer, Opfer von Verkehrsunfällen, Menschen mit angeborener Behinderung und viele mehr. Ich war sehr erstaunt über das Arbeitspensum der insgesamt 29 Angestellten, bestehend aus Physiotherapeuten und Orthopädietechnikern, darunter fünf Mitarbeiter, die selbst eine Behinderung haben. Der Aufenthalt dort hat mich ein bisschen an die Zeit in meiner Kindheit erinnert, in der ich lange Zeit in der Kieler Uniklinik gelegen habe, wo auch meine Prothesen damals angefertigt wurden (Dr. Hippe und Herr Klopsch, falls Sie das lesen, schöne Grüße ;-)

Also weiter im Text. Nach dem Besuch im Rehazentrum, in dem wir natürlich noch einige andere Patienten mit Fragen gelöchert haben, ging es ca. 260 km weiter nach Siem Reap, einer kambodschanischen Tourismusmetropole. Wir legen hier täglich hunderte Kilometer über Schotterwege oder Straßen mit riesigen Schlaglöchern zurück. Das Verkehrsaufkommen ist zudem sehr hoch und so schlängeln sich tausende von Fahrzeugen mit Highspeed um diese Straßenkrater herum, wodurch es sehr häufig zu Unfällen kommt. Auf dem Weg sieht man dann schon des öfteren mal einen Motorroller, der unter einen Laster gekommen ist, da immer mehr Menschen Geld für Roller haben (aber keinen Helm tragen), die Infrastruktur parallel dazu jedoch nicht schnell genug und ausreichend auf- bzw. ausgebaut wird. Ein wachsendes Problem dieses Landes sind daher die vielen Verkehrstoten und -verletzten, die dann später auch auf Einrichtungen wie das Rehazentrum von Handicap International angewiesen sein werden. Ich bin froh, das unser Fahrer Sa Vun uns so souverän von A nach B bringt.

In diesem Sinne take care im Verkehr (sorry, ein Kalauer am Tag muss sein, ist vermutlich der Sonnenstich).

Long way home

Reisetag 4: Ich halte den Friedensnobelpreis in der Hand!

Die Augenringe aufgrund der kurzen Schlafzeiten zwischen den Tagen wachsen ins Unermessliche, aber die Erfahrungen, die ich hier sammeln darf, wären es auch wert, ein ganzes Jahr auf Schlaf zu verzichten. Also weiter im Geschehen.

Heute durfte ich Mr. Channareth treffen, der 1997 stellvertretend für die internationale Kampagne zum Verbot von Landminen den Friedensnobelpreis entgegennahm.

Nach der Ankunft im Metta Karuna Reflection Centre, das Menschen mit Behinderung betreut und ausbildet, erzählt uns Mr. Channareth, der das Zentrum gegründet und mit aufgebaut hat, wie er vom selbstmordgefährdeten, depressiven Familienvater, ohne Beine gefesselt an den Rollstuhl, zur Galionsfigur des weltweiten Kampfes gegen Minen und Streubomben mutierte. Da saßen wir also in friedlicher Atmosphäre unter dem Mangobaum und hörten eine extrem bewegende Lebensgeschichte, die sich anhörte wie ein Drehbuch eines Hollywoodfilms.

Kurz zusammengefasst:
Mr. Channareth verliert beide Beine und aufgrund dessen auch seinen Lebensmut. Er trifft eine Nonne Namens Denise, die ihm eine Perspektive durch Arbeit gibt. Mr. Channareth fängt an, Rollstühle zu bauen und später selbst zu designen, um diese perfekt an die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung anzupassen. Mehr noch, er nimmt den Kampf gegen Kriegsmittel auf und überzeugt 400.000 Kambodschaner, eine Petition gegen Minen zu unterzeichnen, die zunächst auf Ablehnung der damaligen zwei (!) Premierminister stieß, diese jedoch auch beim König einreichte und schlussendlich Zuspruch von diesem erhielt, so dass auch die anderen Machthaber Kambodschas einem Minenverbot zustimmten. Genauso erfolgreich machte er weltweit Kampagnenarbeit für die Internationale Kampagne für ein Verbot von Landminen (ICBL) – und 1997 unterzeichneten viele Staatsoberhäupter dann tatsächlich ein internationales Minenverbot. Für diesen außerordentlichen Erfolg nahm Thun Channareth im gleichen Jahr stellvertretend für die ICBL den Friedensnobelpreis entgegen! Leider besitze ich zu wenig Zeit, noch die Fähigkeiten, um diesem inspirierenden Mann und seiner Geschichte durch meinen Text gerecht zu werden.

Denn wenn Thun seine Lebensgeschichte erzählt, tut er dies explosiver als jede Mine oder Streubombe, man merkt schnell, dass dieser Mensch seinen Platz im Leben gefunden hat und der Kampf gegen Kriegsmittel ihn zu 1000% erfüllt.
Nach dem packenden Monolog von Mr. Channareth hat er uns noch etwas auf dem Gelände rumgeführt und stolz seinen Friedensnobelpreis vorgeführt, natürlich hab ich die Chance gleich ergriffen und gefragt, ob ich diesen auch mal in der Handhalten darf, ich durfte, cooles Gefühl ;-)

Anschließend ging es weiter zu Mr. Aki Ra, der in der Nähe ein Minenmuseum eröffnet hat, auf dessen Gelände auch Kinder betreut werden, denen durch Aki Ra und sein Team eine Perspektive im Leben gegeben wird, das heißt, sie bekommen eine Unterkunft, Schulbildung und warmes Essen. Aki Ra wurde als Kindersoldat gezwungen, Minen zu verlegen und hat es sich als Erwachsener zur Lebensaufgabe gemacht, sein Land von dieser Pest wieder zu befreien. Man sieht ihm nicht an, dass er bereits mehr als 50.000 Minen eigenhändig und anfangs nur mit einem Stock und einer Zange entschärft hat, weil er süß und bescheiden in der Ecke steht, als er uns in Empfang genommen hat.

Nach den Treffen mit diesen beiden inspirierenden Persönlichkeiten ging es abends noch auf den Nachtmarkt in Siem Reap - kann man sich ungefähr vorstellen wie St. Pauli auf kambodschanische Art. Und dann peng! - Stromausfall. Nix ging mehr für mehrere Stunden und so suchten wir uns orientierungslos mit Taschenlampenapp bewaffnet, den Weg durch die stockdunkle Stadt, zurück in das Hotel.

Reisetag 5: Alles hat ein Ende...

Das Ende der Reise rückte näher, trotzdem fühlte es sich für mich so an, als wenn wir noch Jahre bleiben würden. Dem war leider nicht so, und deshalb mussten wir wieder von Siem Reap Richtung Phnom Penh, von wo aus unser Flug zurück nach Hamburg gehen würde. Um die zahlreichen Schlaglöcher auf der Straße zu umgehen und einen schöneren Rückweg zu haben, entschieden wir uns kurzerhand dafür, mit dem Boot zurückzufahren. Gesagt getan, um 6 Uhr Pick-Up vom Pick-Up-Truck, mit ausgebauter Ladefläche, der mit uns dreimal im Kreis fuhr und dann ab zum Boot, kann man MAL machen, muss man aber nicht ;-)

Am Bootsteg angekommen, haben wir uns noch kurz mit etwas Nahrung versorgt und dann rauf auf das Boot! Im ersten Moment erschien mir dieses frisch lackierte, aber dennoch durchgerostete Boot nicht sonderlich vertrauenswürdig, mit der Zeit jedoch haben wir uns angefreundet und nach ein paar Stunden schlaf unter Deck hab ich dann ein paar Stunden Sonne auf dem Deck des Schiffes getankt. Zwischendurch durchquerten wir immer wieder vereinzelte Wasserstädte, also komplette Städte auf dem Wasser, mit Schulen, Bars usw. das kann man sich ungefähr so vorstellen wie bei Waterworld mit Kevin Costner, nur das die Leute hier nicht wirklich aussahen wie Kevin Costner.

Eh ich mich versah, war die 7-Stunden-Fahrt auf dem Boot auch schon vorbei und wir fuhren langsam in den Hafen von Phnom Penh ein, wo uns Mr. Sopha (Einer der coolsten Menschen der Welt) mit dem Bus abgeholt und ins Zentrum in unser Hotel gefahren hat.

Am nächsten Tag ging es dann vor dem Heimflug in das Tuol Sleng Genocide Museum, welches sich in einer ehemaligen Schule befand, die während der Zeit als das Rote Khmer-Regime regierte, zu dem Gefängnis S-21 umfunktioniert wurde, in dem dann zwischen 14.000 und 21.000 Menschen gefoltert wurden, dabei teilweise starben und ansonsten auf den sogenannten „Killing Fields“ regelrecht abgeschlachtet wurden. Je nach Quelle haben nicht mehr als 300 Leute dieses Gefängnis überlebt, oft hört man sogar, dass es nur 7 Überlebende gab. Schon leicht beklemmend und bedrückend sich in diesen Gemäuern zu bewegen. Anschließend hieß es dann auch schon schnell ins Hotel, packen, ab zum Flughafen und zurück nach Hamburg.

Ich muss sagen, dieser Trip war eine unglaubliche Erfahrung, traurige Einzelschicksale und ernste Themen standen im Kontrast zu unglaublich viel Spaß, den wir gemeinsam im Team hatten.

Vielen Dank an Handicap International, dass ich dabei sein durfte. Ich freue mich sehr auf die gemeinsame, zukünftige Zusammenarbeit mit euch!

Vielen Dank an alle!

Love&Peace

Mario