Abdallahs kleines Wunder
In einer bescheidenen Flüchtlingsunterkunft im Libanon ereignet sich ein kleines Wunder: in Form eines einfachen Satzes, gesprochen von einem elfjährigen Jungen, der bei einem Bombenangriff so schwer verletzt wurde, dass er heute querschnittsgelähmt ist.
“Ich freue mich darauf, wieder zur Schule zu gehen...”
Der kleine Junge heißt Abdallah und noch vor Wochen war er tief verzweifelt. Heute schöpft er leise wieder Hoffnung. Das ist das Ergebnis der großartigen Arbeit unserer Kollegin Cynthia – und es ist Abdallahs Wille, wieder zur Normalität zurückzukehren.
Doch das ist nicht so leicht. Wie soll ein kleiner Junge zur Normalität zurückkehren, wenn er auf einmal seine Beine nicht mehr benutzen kann? Seine Mutter war dabei, als es passierte – beim Einkaufen: „Wir waren gerade auf der Hauptgasse des Suqs. Die Flugzeuge bemerkten wir erst, als sie schon die ersten Bomben abwarfen. Alles ging so schnell. Um uns herum starben viele Menschen. Als ich meinen Kopf hob, lag Abdallah auf dem Boden und wirkte entsetzt. Ich dachte zuerst, er habe sich aus Angst vor dem Angriff auf den Boden geworfen. Aber dann begriff ich, dass er ebenfalls getroffen worden war“, erzählt seine Mutter. „Wir brachten ihn ins nächstgelegene Krankenhaus, damit er so schnell wie möglich behandelt wird. Aber erst nach etwa zehn Stunden konnte er operiert werden. Am nächsten Tag erfuhr ich, dass mein Sohn niemals wieder würde laufen können.”
Noch ist jede Normalität in weiter Ferne. Das will die Physiotherapeutin Cynthia ändern. Im Schlafzimmer der Familie bereitet sie Abdallahs dreizehnte Reha-Einheit vor. Sie beginnt mit einigen Dehnübungen für seine Arme und Beine. Zuerst will Abdallah nicht so recht mitmachen. Er leidet immer noch sehr unter dem, was ihm passiert ist. Im Laufe der Übungen gewinnt die junge Physiotherapeutin aber allmählich sein Vertrauen. Abdallah wirkt entspannter und als Cynthia am Ende zum “High Five” ansetzt, muss er sogar etwas lächeln.
Abdallah ist einer von vielen Tausenden, die schuldlos zum Opfer der kriegerischen Gewalt in Syrien geworden sind. Tagtäglich kümmern sich unsere Teams um neue Verwundete: die meisten von ihnen wurden durch Schusswaffen oder Explosionen verletzt. Die Anzahl der Waffen und Sprengkörper in Syrien und dem Irak nimmt täglich zu. Die zurückbleibenden explosiven Kriegsreste gefährden die Bevölkerung noch lange nach dem Ende des Konflikts. Handicap International hilft nicht nur den Opfern. Wir sorgen auch dafür, dass es weniger Menschen zu Opfern des Krieges werden: Unsere Expertinnen und Experten in der Minenräumung säubern Landstriche von explosiven Kriegsresten und klären die Bevölkerung über die Risiken auf.
Abdallah wird weiterhin physiotherapeutisch durch unsere Teams betreut und so nach und nach immer selbstständiger werden. Die geplante psychosoziale Betreuung soll ihm darüber hinaus helfen, seine Situation und diesen neuen Lebensabschnitt zu akzeptieren. “Es ist toll, dass er sich nun darauf freut, wieder zur Schule zu gehen. Er macht gute Fortschritte”, freut sich Cynthia. Abdallah lächelt. Mit einem letzten “High Five” beenden die beiden die Reha-Einheit.