Rima - die Geschichte einer jungen Tänzerin
Um endlich tanzen zu können, ließ sich Rima ein Bein amputieren. Nun kämpft sie gegen das Kastenwesen, gegen Spott - und für die Rechte von Menschen mit Behinderung in Nepal.
Rima (mitte) ist eine begeisterte Tänzerin | Till Mayer / Handicap International
„Jahrelang habe ich Tanzsendungen im Fernsehen verfolgt und immer gedacht, dass ich nie in der Lage wäre, selbst zu tanzen”, sagt Rima (12) stolz und mit dem ihr so typischen Dauerlächeln, während sie die traditionelle nepalesische Tanzkleidung anlegt. Seit sie von Handicap International eine Beinprothese erhalten hat, ist ihr kühnster Traum wahr geworden: Sie glänzt bei Tanzdarbietungen.
Doch ohne Fleiß kein Preis. Dafür sorgt Ashok. Er ist Physiotherapeut im NDF-Rehabilitationszentrum in Kathmandu, und lässt sie eine ermüdende Übung nach der anderen durchführen. Sie soll lernen, wie sie ihre Balance hält und wie ihre Arme und Beine stark und geschmeidig bleiben. Rima lächelt weiter. Auch wenn es unangenehm wird. Er bringt noch etwas mehr Gewicht auf ihren Stumpf, um die Muskeln in ihrem Oberschenkel zu stärken. „Ich bin das glücklichste Mädchen der Welt“, sagt Rima. „Ich kann ohne Probleme zur Schule gehen, ich sehe aus wie meine Freundinnen, ich gehe wie meine Freunde und ich tanze wie die Stars.“
Das war nicht immer so. Rima kam mit Phokomelie (Robbengliedrigkeit) auf die Welt, einem seltenen Geburtsfehler, der für das Fehlen des Mittelteils ihres linken Unterschenkels verantwortlich ist. Rimas Fuß war mit ihrem Knie verbunden. Ohne Gehhilfe kam sie nicht voran. Rimas Vater starb als sie klein war und die Mutter kam mit der Behinderung ihres Kindes nicht zurecht. Als Rima 6 Jahre alt war, war sie auf einmal allein. Ihre Mutter hatte sie mit einem anderen Mann verlassen. Der Nachbar brachte Rima in ein Waisenhaus im Kathmandu Tal.
Die Menschen, die Rima heute ihre Mutter, Brüder und Schwestern nennt, kümmerten sich gut um das Mädchen. Sie ging sogar zur Schule, auch wenn es nicht einfach war. Sie hasste den Weg zur Schule. Wegen der Krücken fühlte sie sich eingeschränkt. Sie konnte ja nicht einmal richtig aufrecht stehen. Und dann kam noch das Schamgefühl dazu. Sie merkte, wie die anderen sie wahrnahmen. Wie die anderen dachten, sie sei anders. „Die Menschen haben mich die ganze Zeit angestarrt. Ich war sehr traurig und hatte Angst vor der Zukunft“. Doch das Schlimmste von allem war, dass sie nie in der Lage sein würde zu tanzen.
Anfang 2013 erzählte sie ihre Geschichte einem Lokalreporter. Er schrieb einen Artikel über das Mädchen, das davon träumte, Tänzerin zu werden. Dieser Zufall sollte alles verändern. Dank der Geschichte des Reporters wurde Handicap International auf sie aufmerksam.
Ein Sozialarbeiter für Behinderung des von Handicap International unterstützten Rehabilitationszentrums ging zum Waisenhaus und brachte Rima zum Reha-Zentrum für eine Untersuchung.
Danach gab es schnell Fortschritte. Rima wurde operiert. Ihr Bein wurde amputiert, so dass sie in der Lage sein würde, eine Prothese zu tragen. Sie erhielt Physiotherapie und lernte, wie sie mit ihrem neuen Bein laufen kann.
Heute ist Rima ein Mädchen, das nicht still stehen kann. Sie ist voller Energie und jede ihrer Bewegungen sieht aus wie eine Tanzbewegung.
„Ich übe jeden Tag, von frühmorgens bis spätabends. Meine Brüder und Schwestern singen und machen Musik während ich tanze. Wir haben viel Spaß.“
Rima liebt die Schule und sie lernt fleißig. Ihr Lieblingsfach ist Englisch. Und zum ersten Mal in ihrem Leben kann sie sagen, dass sie den Sportunterricht mag. „Ich laufe besser als manche von den anderen Mädchen“, kichert sie mit einem verspielten Augenzwinkern.
Das Sahnehäubchen war dann der Tanzwettbewerb in diesem Sommer, genau ein Jahr nach ihrer Amputation. „Ich bin Zweite geworden“, sagt sie mit einem Leuchten in den Augen. „Vorher haben mich die Leute angestarrt wegen meiner Behinderung, jetzt schauen sie mich an, weil ich eine gute Tänzerin bin“, sagt sie und hüpft unbekümmert davon zu ihren Freundinnen auf dem Spielplatz.