Von der Gebärdensprache zur Freundschaft – die Geschichte von Moussifa
Die neunjährige Moussifa wurde mit einer Hörbehinderung geboren. Lange Zeit konnte sie wegen deshalb wegen ihrer schwierigen familiären Situation keine Schule besuchen. Doch dank der Fürsprache von Handicap International gegenüber den Schulbehörden Togos durfte sie sich schließlich zur Schule anmelden. Heute geht sie in die zweite Klasse der Grundschule – in eine (fast) ganz normale Klasse.
Moussifa (Bildmitte) ist neun Jahre alt und nimmt am Französischunterricht der ersten Klasse teil. | © Studio Cabrelli / Handicap International
Moussifa steht vor der Klasse und liest geduldig die Wörter, die mit weißer Kreide an die schwarze Tafel geschrieben sind, vertraute Wörter für alle Kinder, die gerade Lesen lernen: „Heute morgen geht Allou in die Schule. In ihrer Tasche hat sie: einen Stift, ein Heft, ein Stück Kreide, eine Schiefertafel, einen Bleistift und ein Buch. Ihre Mama ist glücklich.“
Kein Wort kommt aus Moussifas Mund. Nur mit ihren Händen formt sie knappe und schnelle Gesten. Als sie fertig ist, winken alle Kinder der Klasse mit hoch erhobenen Händen, um sie zu beglückwünschen. Moussifa ist von Geburt an gehörlos und hat die Gebärdensprache gemeinsam mit allen Kindern ihrer Klasse in der Grundschule von Zentralkara erlernt, einer Stadt im Norden Togos.
„Damit Moussifa gemeinsam mit gesunden Kindern eine Schule besuchen kann, muss sie von allen verstanden werden“, erklärt Tidénèbè Tagba, die Lehrerin der 1. Klasse. „Sowohl das ganze Lehrpersonal an der Schule als auch alle Schulkinder haben die Gebärdensprache gelernt.“
DIE SCHWIERIGE INTEGRATION VON KINDERN MIT BEHINDERUNG IN KARA
Auch wenn die Schule von Zentralkara heute in Togo als Modell für die Integration von Kindern mit Behinderung gilt, so ist das laut Bénédicte Laré nicht immer so gewesen. Sie ist verantwortlich für die Inklusionsprojekte, die Handicap International in den Regionen Kara und Dapaong unterhält.
„In der Region Kara hat die Mehrzahl der Kinder mit Behinderung nur schwerlich Zugang zur Bildung“, stellt sie fest. „Das liegt am Widerstand der Eltern, an der Weigerung der pädagogischen Fachkräfte, sie in die Regelschulen aufzunehmen, an der Unzugänglichkeit der schulischen Einrichtungen, den weiten Schulwegen, an der Armut der Eltern...“
Moussifa konnte die Schule erst im Alter von sieben Jahren besuchen. Zusätzlich zu ihrer Gehörlosigkeit kommt sie aus einer Familie mit sehr vielen Problemen: Vaterlos lebt sie heute bei einer Freundin der Familie, die ihr den Besuch der Schule von Zentralkara nicht ermöglichen konnte.
FORTSCHRITTE IN DER BILDUNG FÜR ALLE KINDER
Für Bénédicte Laré ist Moussifa ein Beispiel für die Beschulung von Kindern mit Behinderung in Togo und für die möglichen Fortschritte, um deren Integration zu erleichtern.
„Vor dem Besuch der Grundschule hat Moussifa zahlreiche Ablehnungen erduldet. Die Lehrkräfte waren sehr abweisend wegen ihrer Behinderung und wegen der Armut ihrer Familie“, erzählt sie. „Die Reaktion der Lehrenden bestand darin, sie in eine Sonderschule zu überweisen, was sie noch mehr ausgegrenzt hätte.“
Handicap International hat intensiv daran gearbeitet, die pädagogischen Fachkräfte in drei Distrikten Togos zu sensibilisieren und auszubilden. Dies hat schließlich dazu geführt, dass alle Schülerinnen und Schüler und alle Lehrkräfte an der Grundschule von Zentralkara die Gebärdensprache erlernen durften.
Parallel dazu haben wir ein Netzwerk von Lehrkräften aufgebaut, die besonders im Bereich Behinderung ausgebildet sind und die an wechselnden Schulorten unterrichten, um die Ausdauer und den schulischen Erfolg von Kindern mit Behinderung zu erleichtern. Dies geschieht natürlich stets in Zusammenarbeit mit den lokalen Organisationen für Menschen mit Behinderung.
Im Laufe des Jahres 2015 konnte Handicap International 250 Grundschulen in Togo unterstützen und hat so zur verbesserten Beschulung von mehr als 1000 Kindern mit Behinderung beigetragen. Eines davon ist Moussifa.
Die Integration von Moussifa ist heute ein voller Erfolg. Sie hat nicht nur gute Noten, sondern spielt immer öfter mit ihren Schulfreundinnen. Das hat unerwartete Wirkungen, sagt Bénédicte Laré: „Seit sie die Gebärdensprache gelernt haben, können sich die Mädchen untereinander verständigen, ohne dass ihre Eltern sie verstehen!“
In Togo laufen die Bildungsangebote von Handicap International im Rahmen des regionalen Projektes APPHEL (Bildung ermöglicht die Teilnahme der Kinder mit Behinderung am gesellschaftlichen Leben), unterstützt von der französischen Agentur für Entwicklung AFD.