Co-Preisträgerin Friedensnobelpreis

Syrien - Bombardiert

Zwölf Menschen verlieren durch Angriffe mit Explosivwaffen ihre Familie, ihr Zuhause und ihr altes Leben. Als Flüchtlinge werden sie in Jordanien und Libanon von Handicap International betreut und erzählen ihre Geschichte, die symbolisch für das Schicksal Hunderttausender steht.

Ahamad sitzt auf dem Boden. Man sieht seinen Stumpf. Neben ihm steht seine Prothese

Ahmad verlor sein Bein an eine Landmine - als er bereits auf der Flucht war. | © P. Poulpiquet/Handicap International

Kamel

„Ich lebe das Leben, das mir gegeben wurde, das ist alles. Ich bin nicht wütend. Ich hasse nichts und niemanden dafür. Ich akzeptiere mein Schicksal. Ich bin einfach dankbar für das, was Gott für mich entschieden hat.“

Dieser Satz könnte aus dem Repertoire eines westlichen Motivationstrainers stammen oder aus den gesammelten Weisheiten eines fernöstlichen Meditationsgurus.

Die ernüchternde Wahrheit ist aber, dass dieser Satz von Kamel stammt, einem jungen Syrer, der bei einem Bombenangriff in seiner Heimat schwer verletzt wurde, nur knapp überlebte, unzählige Operationen über sich ergehen lassen musste und noch heute Granatsplitter in sich trägt. Dieser junge Mann lebte heute als Flüchtling in Jordanien, im Flüchtlingscamp Zaatari, das zum Zuhause Tausender Menschen aus Syrien geworden ist - nachdem ihr eigentliches Zuhause zerstört wurde.

Seit dem Unfall ist Kamal querschnittsgelähmt und kann sich nur im Rollstuhl bewegen. Doch der ist bei Weitem nicht das Auffälligste an ihm, sondern sein breites Lachen. Seine offene und fröhliche Natur. Der Rollstuhl ist ein unbedeutendes Detail, sowohl für Kamel als auch für alle, die ihn treffen: „Mit oder ohne Rollstuhl – ich mache einfach weiter wie bisher“.

Kamels unerschütterliche gute Laune und seine positive Lebenseinstellung sind ermutigend und sie inspirieren die Menschen in seiner Umgebung. Normal ist das unter den geflüchteten Menschen aber nicht. Wie sollte es auch so sein? Die Millionen Menschen auf der Flucht haben im Syrien-Krieg fast immer Familienmitglieder verloren, wurden oft selbst schwer verletzt. Ihre Häuser: nur noch Ruinen. Ihre Dörfer: Zerbombt und verseucht mit Landminen und anderen Kriegsresten. Ihre Zukunft: düster. Laut der Studie "Qasef - Flucht vor den Bomben” war der Einsatz von Explosivwaffen in dicht bevölkerten Gebieten Schuld an 83% aller Todesfälle in der syrischen Zivilbevölkerung. Diese Erfahrung traumatisiert und hinterlässt meist unheilbare Spuren.

Der Einsatz explosiver Waffen in bewohnten Gebieten ist eine grausame Praxis in aktuellen Konflikten, vor allem in Syrien. Die Opfer dieser Barbarei gehören zu 90% der Zivilbevölkerung an.


Lesen Sie hier mehr über den verheerenden Schaden, den Explosivwaffen verursachen, und wie Sie sich engagieren können.

Moheileh

Moheileh zum Beispiel. Die sechzigjährige Großmutter ist niedergeschlagen und antriebslos. Seit vier Jahren lebt sie in Zaatari, das Leben hier ist hart. “Aber wenigstens sind wir sicher,” sagt die Syrerin. Doch das leben im Camp ist auch langweilig, es gibt nicht viel zu tun - und so vieles ist ungewiss. Wann kann sie wieder zurück nach Syrien? Wann ist sie wieder mit ihrer Familie zusammen? Einer ihrer Söhne ist immer noch verschollen - lebt er noch? Oder ist er wie so viele andere längst tot? Gut möglich, dass er einer der vielen Unschuldigen ist, die in diesem Krieg ihr Leben verloren haben. Moheileh weiß es nicht und deswegen geht es ihr schlecht.

Moheileh sitzt auf einem Bett. Sie zeigt ihren Stumpf und neben ihr steht die Prothese

„Ich habe nichts zu tun. Ich liege da, sitze dort und strecke mich auf diesem Bett aus. Manchmal, wenn es draußen schön ist, stehe ich auf und gehe raus. Wenn es kalt ist, bleibe ich hier drin. Ich denke viel nach."

Ein kleiner Lichtblick, sagt sie, ist die Unterstützung durch Handicap International. Wir haben Moheileh eine Prothese angepasst und einen Gehstock und ein Gehgestell gegeben, so dass sie sich selbstständig bewegen kann. Die Physiotherapie-Einheiten geben ihr Beweglichkeit zurück - und mit den Übungen vertreibt sie sich die Zeit.

Sondos

Sondos, acht Jahre alt und ebenfalls amputiert, vertreibt sich die Zeit anders. Um die Traumata aufzuarbeiten, spielt das kleine Mädchen vergnügt und gemeinsam mit ihrer Schwester und den Betreuerinnen von Handicap International mit Knete. Die beiden basteln ein buntes Haus. Auf den ersten Blick ein Bild wie aus einem ganz normalen Kinderzimmer in Deutschland. Doch unsere Psychologin Christelle erklärt: „Das schaut banal aus – aber es bedeutet sehr viel. So können die Mädchen symbolisch alles wieder aufbauen, was sie verloren haben. Und sie können mit uns darüber sprechen.“

Sondos wurde bei einem Angriff auf eine Schule schwer verletzt - und musste mit ansehen, wie ihr Großvater starb. Sie ist stark traumatisiert. Doch das kleine Mädchen ist tapfer.

Kinder und Betreuerinnen malen und basteln gemeinsam

© P.Poulpiquet/Handicap International

„Meine Heimat fehlt mir sehr, aber hier gibt es wenigstens keine Flugzeuge und ich habe keine Angst in die Schule zu gehen.“

Die oben genannten Portraits sind alle Teil der Ausstellung “Syrien - Bombardiert” von Handicap International, die mit der Unterstützung von ECHO (Europäisches Amt für humanitäre Hilfe) erstellt wurde. Im Januar 2017 reiste der französische Photograph Philippe de Poulpiquet nach Jordanien und in den Libanon und traf dort syrische Flüchtlinge. Für seine Aufnahmen begleitete er die Teams von Handicap International, die den Opfern der Syrienkrise seit sechs Jahren helfen. Die Bilder und Videos portraitieren Männer, Frauen und Kinder, deren Alltag plötzlich und ohne Vorwarnung durch eine bis heute andauernde Gewalt unterbrochen wurde, die alle internationalen Regeln verletzt. Die Ausstellung gibt den Opfern eine Stimme. Sie zeigt, wie das Leben dieser Menschen durch den menschenverachtenden Einsatz explosiver Waffen aus den Fugen geriet – und wie sie die Erlebnisse nun auch mit der Hilfe von Handicap International verarbeiten.

Die Geschichten stehen symbolisch für das, was hunderttausende Menschen in Syrien täglich erleben.


Hier geht es zur Online-Ausstellung mit 12 bewegenden Portraits, Bildern und Videos.

Alle Fotos: P. Poulpiquet/Handicap International

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