14 Jahre Streubombenverbot – ein lebensrettender Vertrag ist bedroht
Am 1. August 2024 jährte sich zum 14. Mal der Tag, an dem die Konvention über ein Verbot von Streumunition in Kraft getreten ist. Ein lebensrettender Vertrag. Zehntausende Menschenleben wurden seither geschützt. Doch gerade gibt es einige Entwicklungen, die uns Sorge bereiten. Streumunition wird in aktuellen Konflikten vermehrt eingesetzt. Litauen hat zudem angekündigt, den Vertrag zu verlassen.
Dr. Eva Maria Fischer von Handicap International setzt sich seit Jahrzehnten gegen den Einsatz von Streumunition ein. | © Basile Barbey/HI
Von Dr. Eva Maria Fischer, Handicap International Deutschland
Die Oslo-Konvention verbietet Einsatz, Herstellung, Lagerung und Weitergabe von Streumunition und stellt genaue Regeln zur Umsetzung auf. Dazu gehört auch, dass die betroffenen Länder und Menschen unterstützt werden. Nach einem deutlichen Rückgang von Einsätzen wird Streumunition in aktuellen Konflikten wieder vermehrt verwendet, zunächst in Syrien, dann auch in Myanmar. Im Ukrainekrieg setzte Russland diese Waffen von Anfang an massiv ein, und auch die ukrainische Armee verwendet sie, insbesondere seitdem sie von den USA mit Streumunition aus deren Beständen beliefert werden. Ein aktueller Bericht der Sendung „Panorama“ legt nahe, dass diese Lieferungen sogar aus US-Depots auf deutschem Boden erfolgen. Schließlich hat nun Litauen als erster Vertragsstaat angekündigt, die Konvention zu verlassen mit Verweis auf die aktuelle Sicherheitslage.
Die verheerenden Folgen von Streumunition
Wir alle kennen die schrecklichen Bilder der Vergangenheit. Im Kosovo, dann in Afghanistan und schließlich auch im Irak hat unter anderem die US-Armee große Mengen Streumunition eingesetzt – mit verheerenden Folgen. Nicht nur trafen diese Waffen durch ihre Streuwirkung mit rund 90 Prozent fast nur unschuldige Zivilist*innen, sondern sie hinterließen auch bis zu 40 Prozent Blindgänger.
Diese explosiven Kriegsreste wiederum können zu einer jahrzehntelangen Bedrohung werden. So wie in Laos, das im Vietnamkrieg von Millionen amerikanischer Streubomben getroffen wurde. Die kleinen explosiven Submunitionen werden immer wieder besonders Kindern zum Verhängnis, denn sie sind leicht und sehen häufig besonders interessant aus: wie leuchtend gelbe Dosen oder kleine metallisch schimmernde Bälle.
Überlebende von Streumunition machen den Unterschied
Am 13. November 2003 gründeten wir in Den Haag die internationale Kampagne gegen Streumunition, die Cluster Munition Coalition. Drei Jahre später, als Streumunition der israelischen Armee wieder zahlreiche zivile Opfer im Libanonkrieg forderte, lud die norwegische Regierung zu einer ersten Konferenz über ein Verbot dieser Waffen ein. Wir waren dabei und begleiteten die Verhandlungen über eineinhalb Jahre mit Erfahrungsberichten, Kampagnenevents, Medienarbeit – und wir unterstützten eine Gruppe betroffener Menschen aus verschiedensten Ländern, die „Ban Advocats“, die ihre persönlichen Erfahrungen in die Konferenzen einbrachten.
Gerade Kinder sind Opfer von Submunitionen
Unvergesslich bleibt für mich die Erzählung eines Vertreters dieser Gruppe aus dem Libanon. Sein Sohn Ahmed war an seinem sechsten Geburtstag beim Spielen mit den Freunden im Park durch eine der grausamen Blindgänger getötet worden. Oder die Begegnung mit Phonghsavath aus Laos, dessen Freund ihm eine kleine Kugel schenkte, die er am Straßenrand gefunden hatte, und die in der Hand des 16-jährigen explodierte. Er verlor beide Hände und sein Augenlicht. Trotz dieses grausamen Schicksals fand er die Kraft, zum Botschafter gegen Streumunition zu werden.
Während des Verhandlungsprozesses gab es Bedenken von militärischer Seite. Diese Waffen seien aus militärischen Gründen unverzichtbar. Doch schließlich setzte sich die Erkenntnis durch, dass die humanitären Folgen den militärischen Nutzen deutlich überwiegen. Ich war dabei, als am 3.Dezember 2008 der damalige Außenminister Steinmeier, für unser Land die Konvention über ein Verbot von Streumunition unterzeichnete.
Eine Erfolgsgeschichte seit 2010
Mit dem Inkrafttreten am 1. August 2010 begann dann eine Erfolgsgeschichte: 1.5 Millionen Streumunitionen mit 180 Millionen Submunitionen wurden aus Armeebeständen vernichtet, große Flächen verseuchtes Land von den Resten von Streumunition befreit. Die vorbildlichen Regelungen der Konvention zu Opferhilfe führten zur Unterstützung vieler betroffener Menschen.
Bis heute ist die Vertragsstaatengemeinschaft auf 112 Staaten (nach dem Austritt von Litauen 111) angewachsen. Und der größte Erfolg: Die Einsätze gingen zunächst deutlich zurück. Wie schon Anti-Personenminen wurden Streubomben über die Unterzeichner hinaus für die überwiegende Zahl der Staaten zum Tabu. Selbst die USA setzten sie seither nur noch einmal 2009 im Jemen ein.
Zunehmende Einsätze von Streubomben höchst alarmierend
Vor diesem Hintergrund sind die wieder zunehmenden Einsätze der letzten Jahre höchst alarmierend. Und unsere Bestürzung war groß, als US-Präsident Biden 2023 die Lieferung von Streumunition in die Ukraine verfügte. Besonders enttäuschend fand ich die relativierenden Bemerkungen des amtierenden deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, der 2008 selbst als Außenminister die Konvention unterzeichnet hatte. Irritierend auch die Haltung von Verteidigungsminister Pistorius zur Lagerung von US-Streumunition auf deutschem Boden. Dabei sollten die politischen Repräsentanten eines bis dahin besonders engagierten Vertragsstaats wie Deutschland, das mit überzeugender Diplomatie und Fördermitteln die Umsetzung der Konvention unterstützt, die Verpflichtungen dieses Abkommens verteidigen. Und gerade in der aktuellen Sicherheitslage sollte denjenigen, die Werte betonen und sich auf das Völkerrecht berufen, klar sein: Es ist heute wichtiger denn je, die Errungenschaften multilateraler Abkommen zu stärken. Die humanitären Folgen von Streumunition sind unverändert dramatisch. Deshalb haben so viele Staaten, Organisationen und die Zivilgesellschaft zusammen diese lebensrettende Konvention erkämpft - und müssen heute alles dafür tun, um sie zu erhalten und zu stärken.