Geberkonferenz Jemen - Gemeinsames Statement INGOs
Seit der Eskalation des Konflikts im Jemen vor fast vier Jahren ist der humanitäre Bedarf im Land drastisch gestiegen. Es wird geschätzt, dass 24 Millionen Menschen – das sind 80 Prozent der Bevölkerung – im Jahr 2019 in irgendeiner Form humanitäre Hilfe benötigen[1]. Diese Zahl ist innerhalb von nur 12 Monaten um zwei Millionen bzw. 10 Prozent gestiegen. Dies lässt sich darauf zurückzuführen, dass die Wirtschaft im Jemen fast vollständig zusammengebrochen ist, sich der Konflikt über weite Teile des Landes erstreckt, Völkerrecht missachtet wird und immer mehr zivile Infrastrukturen zerstört werden. Insbesondere Schulen und Krankenhäuser sind betroffen. Darüber hinaus haben die Menschen keinen Zugang zu grundlegender Versorgung, was dazu beiträgt, dass viele an vermeidbaren Krankheiten sterben, die Anzahl der Vertriebenen stark ansteigt und sexuelle Gewalt zunimmt.
Nora hat bei einem Bombenangriff ein Bein verloren. HI kümmert sich um sie. | © Feida / HI
GEMEINSAMES STATEMENT INTERNATIONALER NGOs – GEBERKONFERENZ JEMEN AM 26. FEBRUAR 2019
Heute ist der Jemen mehr als je zuvor von einer Hungersnot bedroht. Insgesamt sind trotz der laufenden humanitären Unterstützung mit Lebensmitteln 15,9 Millionen Menschen - über 50 Prozent der Bevölkerung - von Nahrungsmittelunsicherheit bedroht[1]. Aktuelle Schätzungen zeigen, dass rund eine Viertel Million Menschen unter hungersnotähnlichen Bedingungen leben. [2]
- Die Anzahl der Binnenvertriebenen ist auf 3,3 Millionen gestiegen, davon sind 76 Prozent Frauen und Kinder. Die Zahl wird 2019 voraussichtlich auf 3,9 Millionen ansteigen [3].
- Sieben Millionen Menschen sind mangelernährt, einschließlich zwei Millionen Kinder (jedes fünfte Kind) [4] und mehr als eine Million schwangere und stillende Frauen [5].
- 400.000 Kinder unter fünf Jahren leiden an schwerer, akuter Mangelernährung und es wird geschätzt, dass seit Beginn des Konflikts bereits 85.000 Kinder an Mangelernährung und vermeidbaren Krankheiten gestorben sein könnten [6].
- 16 Millionen Menschen brauchen Unterstützung im Bereich Hygiene, Wasser und sanitäre Grundversorgung.
- 4,1 Millionen Kinder gehen derzeit nicht zur Schule oder brauchen in der Schule Unterstützung.
- 3 Millionen jemenitische Frauen und Mädchen sind von sexueller Gewalt bedroht[7]. Zudem sind Zwangsheirat und das Verheiraten minderjähriger Mädchen seit 2015 auf die dreifache Höhe angestiegen. [8]
- Die Vereinten Nationen schätzen, dass ca. 7,5 Millionen Einwohner nicht regelmäßig von der humanitären Hilfe erreicht werden [9].
Wir, nationale und internationale humanitäre Organisationen im Jemen, arbeiten unentwegt daran, die Bedürfnisse abzudecken – trotz der bedenklichen Sicherheitslage, den Zugangsbeschränkungen und weiterer bürokratischer Hürden. Gemeinsam sind wir in 19 Provinzen im Einsatz und erreichen jedes Jahr Millionen Menschen, einschließlich Frauen und Kinder. Dennoch sind wir permanent mit dem hohen Ausmaß des menschlichen Leids konfrontiert und kämpfen dafür, die Unterstützung in einem entsprechenden Umfang zu leisten. Dies ist eine wahre Herausforderung, da so viele Menschen in schwerer Not leben und dringend humanitäre Hilfe benötigen.
Im Vorfeld der Geberkonferenz für Jemen 2019 ersuchen wir die Geldgeber um angemessene Mittel für die Umsetzung des Humanitären Einsatzplans der Vereinten Nationen 2019. Darüber hinaus fordern wir die Geldgeber dazu auf:
- Sicherzustellen, dass der Großteil der Geldgeber großzügig zur Finanzierung des Humanitären Einsatzplans beiträgt, sodass ein verantwortungsvoller und prinzipientreuer Einsatz möglich wird. Es ist besonders wichtig, dass eine engagierte Gruppe von Geldgebern mit am Tisch sitzt, wenn die Entscheidungen über die humanitäre Hilfe im Jemen getroffen werden.
- Die Modalitäten und Bedingungen für die Finanzierung erneut zu überdenken, einschließlich des Bedarfs an flexibleren und langfristigen Förderungen. Nur so können die humanitären Organisationen besser auf diese Krise eingehen, während sie sich zwischen bürokratischen Hürden, Verboten und schwierigen Sicherheitsbedingungen bewegen müssen.
- Die Finanzierung spezieller Bereiche zu erhöhen, zum Beispiel Schutzmaßnahmen, reproduktive Gesundheit, mentale Gesundheit, psychosoziale Unterstützung, Kampf gegen sexuelle Gewalt und Aufklärung darüber. Durch Investitionen in diese Bereiche können die langfristigen und schädlichen Wirkungen des Konflikts auf die Bevölkerung Jemens besser eingedämmt werden, insbesondere bei Frauen und Kindern.
- In den Wiederaufbau und die Entwicklung von Gegenden zu investieren, die nicht direkt vom Konflikt betroffen sind, wodurch die Resilienz der jemenitischen Bevölkerung gestärkt wird. Sie muss die Möglichkeit haben, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten und ein normales Leben zu führen. Neben dem Fokus auf die vom Konflikt betroffenen Gegenden müssen die Geldgeber kreativ über die Unterstützung der anderen Landesteile nachdenken, die weniger betroffen sein mögen, aber dennoch unter Unsicherheit, politischer Instabilität, einer schwachen Regierung und dem erschwerten Zugang zu Ressourcen und Versorgung leiden.
- All ihr politisches Gewicht gegenüber den nationalen Behörden in Sanaa und Aden einzusetzen, um besseren Zugang auszuhandeln und die Beschränkungen aufzuheben, die den humanitären Organisationen auferlegt werden. Trotz der Zugangsbeschränkungen konnten die Nichtregierungsorganisationen in weiten Teilen des Landes viele Menschenleben retten und versorgen. Sie sind die Hauptakteure der humanitären Hilfe vor Ort. Die Geldgeber dürfen nicht aufhören, uns aufgrund der Zugangsbeschränkungen zu finanzieren. Im Gegenteil: Wir brauchen ihre Unterstützung, um die Hürden zu überwinden.
Als internationale Organisationen vor Ort glauben wir, dass Geld allein nicht die Lösung für die Krise im Jemen sein kann. Diese wird als „die schlimmste humanitäre Krise unserer Zeit“ beschrieben. Wir ermahnen die Geldgeber und die internationale Gemeinschaft darüber hinaus, dass sie alle Maßnahmen unterstützen, die die Zivilbevölkerung Jemens schützen, dass sie Rechenschaft für Verstöße gegen geltendes Kriegsrecht einfordern, Friedensverhandlungen führen und ihre Alliierten dazu aufrufen, eine friedliche politische Lösung für den Konflikt zu finden. Auch wenn nur Frieden dem Leid der Menschen im Jemen ein Ende setzen kann, darf die humanitäre Hilfe nicht vom Friedensprozess abhängig gemacht werden. Der Weg zum Frieden im Jemen ist noch lang, doch viele Menschen leiden jetzt aktuell. Humanitäre Hilfe und Wiederaufbau werden noch jahrelang benötigt werden, um die Schäden der Kriegsjahre zu beheben. Die internationale Gemeinschaft darf nun keine Zeit verlieren, um die Bedürfnisse der Bevölkerung nachhaltig und umfassend abzudecken.
[1] UNO: „Überblick über die humanitären Bedarfe in Jemen“
[2] Jemen: Situation der akuten Nahrungsmittelunsicherheit Dezember 2018 – Januar 2019, abrufbar unter: http://www.ipcinfo.org/ipc-country-analysis/details-map/en/c/1151858/
[3] Das bedeutet, dass sie sich in der IPC-Kategorie 5 befinden.
[4] https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/GHO2019.pdf
[5] Daten des Clusters für Ernährung
[6] https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/GHO2019.pdf
[7] Save PR
[8] UN-Bevölkerungsfonds UNFPA: Humanitärer Einsatzplan im Jemen 2018, abrufbar unter: https://yemen.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/UNFPA%20Yemen%202018%20Respone%20brochure%20-%20English%20-%20printed%20final.compressed.pdf
[9] Weibliche Auskunftspersonen zwischen 15 und 49 Jahren in sechs Gouvernements. UNICEF, Falling through the cracks. The Children of Yemen, 2017.
[10] Workshop: Mechanismen der Aktion gegen Hungersnot, Amman, 24. Januar 2019.