Gaza: Sanaa - Ein Baby, das vergeblich auf Essen wartete
*Triggerwarnung: Tod eines Kindes*
Vor zwei Wochen verhungerte die einjährige Sanaa. Der Reha-Spezialist Haytham Abu Hadroos erzählt uns ihre Geschichte. Sanaas Geschichte ist ein schreckliches Beispiel für die verzweifelte humanitäre Lage in Gaza und die Auswirkungen der von Menschen verursachten Hungersnot.

Sanaa vor einigen Monaten, bevor sie an den Folgen von Unterernährung starb. | © HI 2025
Sanaa Mansour Al-Lahham wurde während des Krieges geboren. Sie war ein kleines Mädchen, das nichts von der Grausamkeit der Welt wusste, in die es geboren wurde. Von ihrem ersten Atemzug an verschlechterte sich die humanitäre Lage in Gaza von Tag zu Tag. Der Zugang zu Nahrung, Milch oder Medikamenten wurde fast unmöglich. Seit ihrer Geburt war sie mit Strapazen konfrontiert, die kein Kind jemals erleben sollte.
Wie Handicap International Sanaa und ihre Mutter traf
Während eines Einsatzes vor Ort im Rahmen unserer Arbeit bei HI betrat eine junge Mutter mit einem gebrochenen Arm und ihrem Baby im Arm eine Unterkunft der Vereinten Nationen in der Al-Haker-Schule in Deir El-Balah. Die Frau sah erschöpft aus – körperlich und seelisch. Sie war im Gazastreifen von einem Krankenhaus zum anderen gelaufen. Sie suchte nach Antworten, Hoffnung und jemandem, der ihr sagen konnte, was mit ihrer Tochter los war.
Ihr Kind, einst fröhlich und verspielt, hatte sich nach hohem Fieber* plötzlich verändert. Sanaa hörte auf zu weinen, bewegte sich nicht mehr wie zuvor, rollte nicht mehr herum und interagierte nicht mehr. Sie blieb einfach still sitzen und bewegte nur noch leicht Kopf und Gliedmaßen, als würde sie in Stille versinken.
Stimulationstherapie kann Nahrung nicht ersetzen
Sanaa hatte Entwicklungsverzögerungen und im März letzten Jahres begann HI mit Physiotherapie, Ergotherapie und psychosozialer Unterstützung. Wir haben die Mutter mit einbezogen und ihr jeden Schritt erklärt. Wir haben gemeinsam mit der Mutter und dem Kind gearbeitet. So konnten Mutter und Kind wieder Hoffnung schöpfen. Nach drei Sitzungen konnte Sanaa sich mit minimaler Unterstützung umdrehen und sitzen. Ihre Mutter weinte vor Freude. Es war das erste Mal seit Monaten, dass sie hoffnungsvoll war.
188 Menschen starben an Hunger, die Hälfte davon Kinder
Doch diese Hoffnung währte nicht lange. Am 17. Juli 2025 starb Sanaa an den Folgen von Unterernährung. Trotz medizinischer Versorgung und Verlegung in das Shuhada Al-Aqsa-Krankenhaus verschlechterte sich ihr Zustand und sie erlag leider den Folgen der lang anhaltenden Unterernährung und des Mangels an Babynahrung.
In den letzten Tagen sind 188 Menschen an Hunger gestorben, darunter 94 Kinder. Sanaa ist mehr als nur ein Fall. Sie war keine Statistik. Sie war ein Kind – ein Leben, das in den Krieg hineingeboren wurde. Ein Mädchen, der Welt mit stillen Augen begegnete und viel zu früh von ihr ging.
Wird die internationale Gemeinschaft diese Tragödie stoppen?
In ihrer Geschichte steckt nicht nur Trauer, sondern auch eine Frage an die Welt: Wie viele Kinder werden wir noch sterben lassen, bevor die Hungersnot in Gaza als das anerkannt wird, was sie wirklich ist?
Dieser tragische Verlust unterstreicht die dringende Notwendigkeit eines sofortigen und dauerhaften Waffenstillstands und des ungehinderten Zugangs zu humanitärer Hilfe sowie der Unterstützung für schutzbedürftige Gruppen wie Menschen mit Behinderungen und Kinder. Unsere Gedanken sind in dieser unglaublich schweren Zeit bei Sanaas Familie.
*Medizinische Expert*innen sagen, dass hohes Fieber bei Säuglingen – insbesondere in Notfällen – Anzeichen für schwere Infektionen wie Meningitis oder Enzephalitis sein können, die ohne sofortige Behandlung zu bleibenden neurologischen Schäden führen können. In Gaza, wo Krankenhäuser beschädigt sind, die Stromversorgung unterbrochen ist und Medikamente unauffindbar sind, bleiben solche Erkrankungen oft unerkannt und unbehandelt.
Gleichzeitig schwächt Unterernährung das sich entwickelnde Gehirn und das Immunsystem. Bei Säuglingen erhöht sie das Risiko einer neurologischen Entwicklungsstörung, motorischer Entwicklungsverzögerungen und einer Anfälligkeit für weitere Erkrankungen. Als Sanaa Fieber bekam, hatte ihr Körper wahrscheinlich keine Reserven mehr, um sich zu wehren. Ohne angemessene Ernährung und medizinische Versorgung verschlechterte sich ihr Zustand.