Co-Preisträgerin Friedensnobelpreis

Ums Geschichte: Letzter Ausweg

Um Humedi ist eine Frau in den Siebzigern und stammt aus dem Gouvernement Aleppo. Wie alt sie ist, weiß sie nicht genau. Sie erinnert sich nur lachend daran, dass auch schon ihre Tante immer scherzte, sie sei zwischen 100 und 120 Jahre alt, wenn man sie danach fragte.

Diese Vorhänge sind eines der wenigen Dinge die Um aus Syrien geblieben sind.

Um hat aus Syrien nur Vorhänge, einen Gebetsteppich und einen Koran mitnehmen können. | © Benoit Almeras / Handicap International

In den Libanon kam ich vor ungefähr einem Jahr. Meine Töchter waren schon seit Anfang des Krieges dort. Mein Mann und ich blieben in Syrien, solange wir konnten. Wir wollten unser Haus nicht verlassen.

Unser Haus

Mein Haus war sehr einfach, mit einem Innenhof, drei Zimmern, Küche und Bad. Mein Mann und ich liebten das Haus. Er hatte es mit seinen eigenen Händen gebaut und so hart daran gearbeitet. Er war Bauarbeiter. Viele Jahre hat er im Ausland gearbeitet: in Saudi-Arabien, im Libanon und in Jordanien. Wir haben das Haus kurz nach unserer Hochzeit gebaut und es Schritt für Schritt verbessert – mit dem Geld, das er im Ausland verdient hatte.

Jedes Mal, wenn er heimkam, heuerte er Arbeiter an, damit sie an einem Zimmer oder einem Teil des Hauses weiterbauten. 

Über 50 Jahre lang hatten wir an dem Haus gearbeitet. Alle meine Kinder wurden dort geboren. Wir hatten uns schöne Sachen angeschafft: eine gut ausgestattete und moderne Küche, schöne Sofas und bequeme Betten, um Gäste zu beherbergen. Viele Dinge, die wir gerne mochten und aufgehoben haben. Dinge, die wir nicht verkaufen wollten.

Wir sind sehr geduldige Menschen. Mein Mann sagte immer, dass die Bombardierungen aufhören würden. „Eines Tages werden keine Flugzeuge mehr kommen“, sagte er. Ich glaubte ihm und wir warteten darauf, dass es aufhöre. Wir warteten, aber es hörte nicht auf.

Bombenangriffe und Plünderungen

In manchen Zeiten bombardierten die Flugzeuge unsere Gegend täglich. Einmal schlug eine Fassbombe im Nachbarhaus ein. Alle Menschen in dem Haus waren tot, ebenso die Menschen, die sich in der Nähe aufgehalten hatten. Andere Häuser wurden von der Druckwelle der Explosion mitzerstört. Viele Menschen starben oder wurden verwundet. Glücklicherweise waren manche Häuser schon leer, weil viele Menschen aus Furcht vor den Bomben die Gegend verlassen hatten.

Unser Haus stand noch. Mein Mann sagte, dass dies ein Grund zur Hoffnung sei. Er bestand darauf, dass wir in dem Haus bleiben müssten. Er sagte, wenn wir gingen, würden wir alles verlieren. Das Haus würde ausgeraubt werden und alles, was wir aufgebaut hätten, wäre weg. So oft hatten wir das in der Nachbarschaft erlebt. Immer wenn jemand floh, wurde früher oder später alles, was sich in seinem Haus befand, gestohlen.

Das Haus meines Bruders wurde bei einem Bombenangriff zerstört. Ich habe viele Familienangehörige verloren, meistens bei Bombenangriffen. Zehn kann ich aufzählen.

Zuletzt blieb nur die Flucht

Unser Dorf ist nicht groß. Bis vor sechs Jahren lebten dort fast 3.000 Menschen. Die meisten von uns besaßen Plantagen und Gärten, in denen wir Gemüse anbauten. Der Ort war umgeben von Feldern, auf denen die Leute Weizen, Linsen und Kreuzkümmel anbauten. Die Hirten grasten dort mit ihren Schafen und Ziegen, so dass wir immer frisches und schmackhaftes Essen hatten.

Nachdem die Bombenangriffe begonnen hatten, wurde die Garten- und Feldarbeit schwieriger. Vor drei Jahren hörte sie ganz auf. Zunehmend machten sich die Menschen Sorgen, wenn sie aus dem Haus gingen. Es gab Geschichten über Hirten, die durch Landminen umgekommen waren. Um diese Zeit starb mein Mann. Nachdem er gestorben war, blieb ich noch einige Zeit, etwa anderthalb Jahre. Doch ich vermisste meine Töchter.

Flugzeuge bombardierten die Gegend. Ich war nicht mehr stark genug, um zu bleiben. Die meisten meiner Bekannten waren schon geflohen. Ich gehörte zu den letzten, die gingen. Neue Menschen waren in den Ort gekommen, die aus Aleppo oder anderen Regionen des Landes geflüchtet waren. Am Abend bevor ich ging, lud ich eine dieser Familien in mein Haus ein. Sie stammten nicht aus unserem Ort, aber ich mochte sie. Sie waren geflüchtet, nachdem ihr Haus bei einem Bombenangriff zerstört worden war

Ich habe das Haus verlassen. Nun ist mein Körper hier, aber mein Herz und meine Gedanken sind immer noch dort. Ich hoffe, dass alle Menschen die Möglichkeit bekommen, in ihre Heimat in Syrien zurückzukehren.

Jede Stimme zählt! Helfen Sie uns bei unserem Engagement gegen die Bombardierung der Zivilbevölkerung und unterzeichnen Sie unsere Petition STOP! Bombing Civilians!

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