Humanitäre Krise in Tigray verschärft sich
Über eine Million Menschen leiden infolge der Gewalt in der äthiopischen Region Tigray. Die humanitäre Krise verschlimmert sich jeden Tag. Die Teams von Handicap International (HI) sind vor Ort, um den Betroffenen beizustehen. Viele Menschen mussten bereits fliehen.
HI-Fahrzeuge auf dem Weg in die Region Tigray, um humanitäre Hilfe zu leisten. | © HI
Schätzungsweise rund 5,5 Millionen Menschen benötigen humanitäre Hilfe und sind von Hunger und Unterernährung, ständigen Sicherheitsrisiken und Ressourcenknappheit betroffen. Sie müssen vor allem psychologisch und medizinisch versorgt werden und brauchen Lebensmittel, Unterkünfte sowie Hygieneartikel. Die Bevölkerung steht unter enormem Stress und erfährt aufgrund der Schwere der Umstände ein weit verbreitetes psychologisches Trauma.
Mindestens 4 Millionen Menschen (mehr als 90% der Bevölkerung) sind in alarmierendem Maße von Nahrungsknappheit betroffen. Infolge von Überschwemmungen, Dürren und Heuschreckenplagen fehlt es an Nahrung in der Region. Davon sind 1,8 Millionen Menschen von akutem Hunger betroffen und über 350.000 Menschen haben ein katastrophales Stadium erreicht, das durch extremen Mangel an Nahrung, Hunger, Not und kritische akute Unterernährung definiert ist. Allein 2,2 Millionen Kinder sind von akuter Ernährungsunsicherheit und schwerer Unterernährung betroffen, was zu schweren Entwicklungsverzögerungen bei Kindern und sogar zu lebenslangen Behinderungen führen kann. Die Situation wird durch die Corona-Pandemie noch verschlimmert.
Gewalt und sexuelle Übergriffe
Frauen und Kinder berichten über gewaltsame sexuelle Übergriffe. Alleine im Mai wurden über 500 Fälle sexueller Gewalt gemeldet, darunter rund 70 Taten gegen Kinder. Unbegleitete Kinder und Mädchen mit geistigen und körperlichen Behinderungen sind einem noch höheren Risiko ausgesetzt. Es wird geschätzt, dass in diesem Jahr über 22.500 Opfer sexueller Gewalt klinische Hilfe suchen werden. Die Dunkelziffer der Übergriffe bleibt unbekannt, da weit verbreitete Angst und Stigmatisierung viele daran hindern, sich zu melden.
735.000 Menschen mussten bisher ihre Häuser in der Region verlassen und aus den gefährlichen Gebieten fliehen. Viele sind in die nördliche Stadt Shire gezogen. Darüber hinaus haben Tausende von Äthiopier*innen in den Nachbarländern Zuflucht gesucht. Zugleich mussten fast 100.000 eritreische Flüchtlinge, die in Tigray leben, in andere Lager umgesiedelt werden. Das Sicherheitsrisiko verschärft sich.
Unsere Teams vor Ort berichten, dass besonders Menschen in ländlichen und abgelegenen Gebieten häufig von jeglicher Hilfe abgeschnitten sind. Zudem sind Menschen mit Behinderung sowie ältere Menschen stärker gefährdet, da diesen meist isoliert nur eingeschränkten Zugang zur Grundversorgung haben und oftmals Mobilitätseinschränkungen sie an der Flucht hindern.
Unser Einsatz in Äthiopien
HI ist seit 1986 in Äthiopien tätig. Wir ermöglichen Menschen mit Behinderung und besonders gefährdeten Menschen einen sicheren Zugang zu humanitärer Hilfe. In der aktuellen Situation gehört neben Rehabilitationsmaßnahmen vor allem die psychosoziale Hilfe zu unseren obersten Prioritäten in Tigray. Wir senden Fachkräfte für psychische Gesundheit in abgelegene Gebiete sowie in Dutzende von Lager für Binnenflüchtlinge.
Unsere weiteren Schwerpunkte:
- Psychologische Erste Hilfe durch Einzel- und Gruppenberatungen und Schulungen für Hilfs- und Gesundheitspersonal
- Rehabilitationsleistungen, einschließlich Physiotherapie-Sitzungen, Schulungen für Mitarbeiter*innen des Gesundheitswesens und Verteilung von Mobilitätshilfen für Menschen mit Behinderung und Verletzungen sowie für über 300.000 Binnenvertriebene
- Inklusive humanitäre Hilfe, die sich auf Menschen mit Behinderung, unbegleitete Kinder, von Gewalt und Ausbeutung bedrohte Frauen und gefährdete Bevölkerungsgruppen konzentriert
- Lagerung, Transport und koordinierte Verteilung von humanitären Hilfsgütern mit Partner-Organisationen
- Initiativen zum Schutz von Kindern in Flüchtlingslagern