„Der Bedarf an Hilfe ist riesig“
Caglar Tahiroglu, HI-Notfallmanagerin für psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung, koordiniert unsere Hilfe in Czernowitz. Sie berichtet von überfüllten Sammelunterkünften und fehlenden Lebensmitteln. Viele Geflüchtete brauchen psychologische Unterstützung. Besonders schwierig ist die Situation in einem Heim, in dem unbegleitete Kinder mit geistiger Behinderung versorgt werden.
Zwei Menschen vor einem von einer Rakete zerstörten Gebäude in der Nähe eines Militärlagers. | © Till Mayer / HI
Wie würden Sie die Situation in der Ukraine beschreiben?
"Ich befinde mich derzeit in Czernowitz, wo wir vor allem in den Sammelunterkünften arbeiten, in denen Binnenvertriebene untergebracht sind. Die Unterkünfte sind sehr unterschiedlich: Einige sind gut ausgestattet, andere haben nicht einmal warmes Wasser. In einigen Zentren gibt es nicht genügend Lebensmittel, keine Grundausstattung oder Hygieneartikel. Eine Sammelunterkunft befindet sich in einem Kindergarten, so dass alle Vertriebenen in Mini-Betten schlafen, die für Kinder unter 6 Jahren gemacht sind. Die Waschbecken sind so klein und für manche Menschen schwer zugänglich. Sie haben nicht genügend Duschen. Sie haben nur noch Lebensmittel für eine Woche und sind ausschließlich auf freiwillige Helfer angewiesen. Sie brauchen Bettzeug für Erwachsene, Hilfsmittel für ältere Menschen sowie psychologische und psychosoziale Unterstützung.“
Die Arbeitsbelastung ist enorm
„In einer anderen von uns unterstützten Einrichtung lebten vor dem Krieg etwa zehn Kinder. Jetzt sind 45 vertriebene, unbegleitete Kinder mit schwerwiegenden geistigen Behinderungen dazugekommen. Das Personal ist wirklich überfordert, die Arbeitsbelastung ist enorm, und die Bedürfnisse und Rechte der Kinder können nicht erfüllt werden. Der Bedarf an Hilfe in diesen Zentren ist riesig.“
Sirenen schrillen in der Nacht
„Hier in Czernowitz gab es anfangs nur ein oder zwei Alarme pro Woche, doch jetzt gibt es sie an jedem Tag. Letzte Woche hatten wir vier Nächte, in denen wir aus dem Schlaf gerissen wurden. Die Sirenen schrillten von 3:30 Uhr bis 7 Uhr morgens. Die Menschen sind sehr müde. Ich erinnere mich noch an den ersten Alarm, den ich hörte. Es war sehr, sehr anstrengend. Es klingt wie in einem Film, so wie bei einem nuklearen Angriffsalarm. Mit der Zeit gewöhnt man sich daran, aber er ertönt ständig in der ganzen Stadt, und die Menschen haben keine Möglichkeit, dem mental zu entkommen.
Diese Menschen sind über Nacht zu Flüchtlingen geworden. Wir sprechen hier von über 10 Millionen Vertriebenen. Das ist eine menschliche Tragödie.“