Co-Preisträger Friedensnobelpreis

Im Osten Äthiopiens: die vergessene Krise

Nothilfe
Äthiopien

In den Regionen Oromia und Somali im südlichen und östlichen Äthiopien ist die Gewalt zwischen den ethnischen Gruppen in den letzten Monaten eskaliert. Seit langer Zeit schon kämpfen die Gruppen um den Zugang zu natürlichen Ressourcen, insbesondere Wasser und Weideland. Lange Dürren und Hungersnöte haben den Konflikt verschärft. Hinzu kommt eine gewaltsame Auseinandersetzung über den Grenzverlauf zwischen den beiden Regionen. Seit September 2017 sind über eine Millionen Menschen aus ihren Dörfern in hunderte Auffanglager geflohen. HI ist vor Ort aktiv, um die schutzbedürftigsten Menschen  zu schützen – allen voran Frauen und Kinder. Fabrice Vandeputte, Projektleiter von HI in Äthiopien, erklärt die Ursachen der Krise und wie HI darauf reagiert.

Flüchtlingscamp in der Region Oromia, wo HI im November 2017 Non-Food-Artikel verteilte

Flüchtlingscamp in der Region Oromia, wo HI im November 2017 Non-Food-Artikel verteilte | © HI

Wie hat die Krise begonnen?

Seit langer Zeit schon kämpfen ethnische Gruppen in den Hirtenregionen Oromia und Somali im Süden und Osten Äthiopiens um den Zugang zu natürlichen Ressourcen, insbesondere Wasser und Weideland. Doch in den letzten Jahren ist der Konflikt durch lange Dürren und die darauffolgende Hungersnot intensiver geworden. Zusätzlich herrscht seit einigen Monaten eine Auseinandersetzung über den Grenzverlauf zwischen den beiden Regionen. Diese uferte in einen gewaltsamen Konflikt aus, als hunderttausende Menschen aus Oromia, die in Somali und selbst im angrenzenden Somaliland lebten, zwangsweise nach Oromia zurückvertrieben wurden. Als Gegenmaßnahme darauf reagierten die Behörden Oromias mit der Ausweisung der Somali-Bevölkerung.

Wo leben die vertriebenen Menschen derzeit?

Über eine Million Vertriebene – vor allem Frauen und Kinder – leben aktuell in 400 Aufnahmeeinrichtungen wie etwa Schulen oder öffentlichen Gebäuden, aber auch in Familien. Sie befinden sich auf einer Nord-Süd-Linie von der Stadt Jigaga zur Stadt Moyale, an der Grenze zwischen den Regionen Somali und Oromia. Die Bevölkerungsbewegung setzt die Aufnahmegemeinden stark unter Druck. Eine Frau, die wir vor kurzem kennenlernten, hat zum Beispiel rund 50 Angehörige ihrer engen und entfernteren Familie bei sich aufgenommen. Man kann sich die Alltagsprobleme vorstellen, die das in Bezug auf Sanitäranlagen, die Versorgung mit Lebensmitteln usw. verursacht.

Wie sind die Bedingungen für die Vertriebenen?

Sie sind völlig erschöpft. Das gilt auch für die Aufnahmefamilien. Stellen Sie sich einmal vor: Sie gehen gerade in aller Ruhe die Straße hinunterund Sie werden plötzlich von Polizisten umringt , die Sie auf einen Transporter zwingen. Dann werden Sie hunderte Kilometer weit weggebracht. So ist es den meisten Vertriebenen hier ergangen. Sie haben all ihren Besitz verloren. Es werden sogar viele Kinder von ihren Eltern getrennt. Viele sind psychisch schwer belastet.

Wie reagieren die Nichtregierungsorganisationen?

Unglücklicherweise werden nur wenige humanitäre Akteure von Geldgebern unterstützt oder sind dazu in der Lage, Nothilfeprogramme umzusetzen. Für die NROs vor Ort ist es schwierig, Hilfsmaßnahmen einzuleiten, weil die vertriebenen Menschen auf unzählige Orte verstreut sind und man sie erst ausfindig machen muss. Hilfe für Menschen zu organisieren, die über so weite Gebiete verteilt sind, ist keine einfache Aufgabe. 

Was macht HI?

Wir haben ein Programm aufgesetzt, um Frauen und Kinder zu schützen. Wenn Menschen plötzlich in großer Anzahl vertrieben werden und unter sehr ärmlichen Bedingungen auf engstem Raum zusammenleben, führt dies zu Spannungen und Gewalt. Frauen und Kinder sind generell am schwersten davon betroffen. Zudem besteht ein erhöhtes Risiko für sexuellen Missbrauch und Kinderhandel. In Babile und Kersaa, wo wir tätig sind, haben wir mobile Teams aufgestellt, deren Aufgabe es ist, risikoreiche Situationen zu sichten und gefährdete Personen zu erkennen. Sie verweisen sie an geeignete Stellen wie beispielsweise Gesundheitszentren, soziale Hilfseinrichtungen, Organisationen o.Ä. Darüber hinaus eröffnen wir Räume nur für Frauen und Kinder, in denen sie spielen oder psychologische Unterstützung erhalten können.

Wir wird sich die Krise in den kommenden Monaten entwickeln?

Einige Beobachter schätzen die Anzahl der Menschen, die im Jahr 2018 humanitäre Unterstützung benötigen könnten, auf 5 bis 7 Millionen – Aufnahmegemeinden eingeschlossen. Diese Krise ist im Moment weitestgehend vergessen und unterfinanziert. Selbst die grundlegendsten Bedürfnisse wie Wasser, Nahrung, Hygiene und Sanitäranlagen sind nur knapp gedeckt. Die Unterstützung der Geldgeber reicht bei weitem nicht aus.

13 April 2018
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