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Sierra Leone: Fanta darf zur Schule gehen

Rechte von Menschen mit Behinderung Vorsorge und Gesundheit
Sierra Leone

Bisher verhinderte eine Zerebralparese, dass die siebenjährige Fanta ihren Schulweg alleine meistern konnte. Mithilfe eines Rollstuhls von Handicap International hat Fanta nun ein Stück Selbstständigkeit zurückgewonnen: Sie kann künftig regelmäßig den Schulunterricht besuchen.

“Alles, was Fanta für den Schulbesuch benötigte, war ein Rollstuhl”

Fanta ist ein vor Leben sprühendes, siebenjähriges Mädchen, das gerne lacht und Freude verbreitet. Doch Fanta hat auch seit ihrer Geburt mit Einschränkungen zu kämpfen: Infantile Zerebralparese. Margaret, lokale Mitarbeiterin von Handicap International in dem Distrikt Kono, diagnostizierte die Krankheit während eines Kontrollbesuchs mit einem der Freiwilligen aus ihrer Region. Sogleich überwies sie Fanta an das distrikteigene Rehabilitationszentrum und setzte sich gemeinsam mit dem Zentrum für die Beschaffung eines Rollstuhls für das fröhliche Mädchen ein. Die einzige große Barriere, die Fanta davon abhielt, zur Schule zu gehen.

Das Rehabilitationsteam von Handicap International, bestehend aus PhysiotherapeutInnen und TechnikerInnen, wurde nun zusätzlich in das Projekt involviert. Unser Team soll individuelle Förderung und Unterstützung für jene Kinder gewährleisten, denen aufgrund ihrer Bedürftigkeit eine besonders hohe Priorität bei der Beschaffung von Equipment eingeräumt wurde.

“Fanta erhielt ihren Rollstuhl erst wenige Tage vor unserem Besuch”, erklärt Julia McGeown, eine aus England angereiste technische Beraterin für inklusive Schulbildung. „Da wir sie an einem Sonntag trafen, hatte das kleine Mädchen noch nicht am Unterricht teilgenommen, freute sich aber schon riesig darauf, am nächsten Tag das erste Mal zur Schule zu gehen.“
Fanta nickte auf die Frage, ob sie denn zur Schule gehen wolle, entschieden mit dem Kopf und sagte: „Ich möchte zur Schule gehen und mit den anderen Kindern spielen”. Sie sei immer so traurig, wenn die anderen Kinder aus dem Dorf jeden Morgen ihre Häuser in Richtung Schule verließen und sie nicht mitgehen könne.

Sie genieße es, sich zu Hause den ersten Schreibversuchen zu widmen und leihe sich des Öfteren Stifte und Hefte von anderen Kindern. „Tatsächlich begann sie sofort herumzukritzeln, als ich ihr Buch und Stift übergab und sah vollauf zufrieden mit sich aus. Auf die Frage, was sie nach der Schule einmal werden wolle, antwortete sie „Koch“. Was, wie ihre Großeltern hinzufügten, der einzige Beruf sei, den sie in ihrem bisherigen Leben kennengelernt hat”, berichtet Julia.

Nenn mich bei meinem Namen, nicht bei meiner Behinderung

Fanta lebt bei ihrer Mutter, einer jungen Frau in den Zwanzigern, gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder, der einen unterernährten Eindruck macht. Einen Vater gibt es nicht. Als unser Besuchsteam eintraf, war ihre Mutter noch damit beschäftigt, ein paar Fische aus dem dorfeigenen Bach zu angeln. So trafen sich an ihrer statt Fantas Großeltern, die oft nach der Enkelin schauen, mit dem Team.

“Wir sind so glücklich über den Rollstuhl”, beteuert Salir Nyama, Fantas Großvater, „Davor war es anstrengend für Fanta zur Schule zu gelangen, da die sich fast zwei Meilen weit weg befindet und Fanta schwer zu tragen ist. Zuerst waren wir uns nicht sicher, ob sie an der Schule angenommen wird bis Margaret uns erklärte, dass in Sierra Leone die Schulen nun alle Kinder aufnehmen müssen, ungeachtet ihrer Behinderung.

Salir fügt noch hinzu: „Jemand musste sie nehmen, den ganzen Weg zur Schule tragen und zurückkommen. Dann wieder hinlaufen und sie abholen. Wir sind so froh, dass der Rollstuhl es ihr jetzt ermöglicht, alleine den Schulweg anzutreten.“

In der Dorfgemeinschaft tief verwurzelte Vorurteile befördern die Sorge der Familie, dass Fanta von den anderen Kindern verhöhnt und verspottet werden könnte. Die meisten Dorfbewohner hängen der Überzeugung nach, dass Behinderung als Konsequenz von Hexerei oder gar einem Fluch resultiert. Fantas Familie hingegen glaubt, dass die Behinderung des Kindes vielmehr Gottes Wille als dunkle Magie war. Sie pflegen einen sehr liebevollen Umgang mit dem Mädchen.

Unsere Mitarbeiterin Margaret brachte der Familie nahe, wie der Prozess der Schulanmeldung von statten gehen und wie die Schule in Sensibilisierungskampagnen für die Gemeinschaft und die Schüler involviert werden würde. Die Thematik Behinderung, müsse konfrontiert und bearbeitet, nicht einfach beiseite geschoben werden. Tatsächlich trug Abu, der Projektmanager, sein “Nenn mich bei meinem Namen, nicht bei meiner Behinderung” T-shirt während wir vor Ort waren. Er möchte das Thema innerhalb der Gemeinde in den Fokus rücken.

Fantas Zerebralparese wurde wahrscheinlich durch Geburtskomplikationen ausgelöst

Fantas Mutter durchlitt eine schwierige Geburt. Ihre Großmutter erzählte, wie viele der Frauen aus dem Dorf am Tage der Geburt vor der Tür standen in der Hoffnung, der schwangeren Frau zur Hilfe eilen zu können. Darunter befanden sich auch die traditionellen Geburtenhelferinnen, die eigentlich bei der Geburt assistieren. Die Geburt zog sich außerordentlich lang hin. Wahrscheinlich ist, dass Sauerstoffmangel während der Geburt letztlich Fantas Behinderung auslöste. Infantile Zerebralparese fügt dem Gehirn im frühkindlichen Stadium einen erheblichen Schaden zu und kann bereits im Mutterleib, aber auch während und nach der Geburt auftreten. Es ist sehr üblich, dass hinter Kindern, die an Zerebralparese leiden, eine traumatische Geburtserfahrung liegt.

Dieser Fall zeigt die Notwendigkeit auf, verbesserten Gesundheitsmaßnahmen für werdende Mütter Vorrang einzuräumen, liegen hier doch oft die Ursachen für Behinderung und Krankheit im Kindesalter. Fantas Geschichte verschaffte dem Team die Möglichkeit, offen mit der Gemeinde über die Wichtigkeit medizinischer Versorgung zu sprechen. Insbesondere bei alarmierenden Auffälligkeiten während der Schwangerschaft solle man nicht zögern, sich an ein Krankenhaus zu wenden. Unser Team war zudem in der Lage, eine medizinische Erklärung für Fantas Behinderung zu geben. Das kann zur Entmystifizierung bestehender Überzeugungen beitragen, nach denen Familien von Kindern mit Behinderung mit Flüchen belegt wurden.

Fanta wird nun in der Lage sein, die örtliche Schule zu besuchen. Glücklicherweise führt den Großteil der Strecke eine betonierte Straße zum Schulgebäude. Das wird Fanta den Weg weiter vereinfachen. Dennoch ist Vorsicht geboten, da die Straßen über keine Gehwege verfügen und sich bisher kein Beckengurt an Fantas Rollstuhl befindet. Wir unterstützen den Gebrauch eines Stoff- oder eines Sicherheitsgurtes für Erwachsene als Ersatz, da Fanta bereits am ersten Tag aus ihrem neuen Rollstuhl herausfiel: Ein paar aufgedrehte Spielkameraden hatten es ein bisschen zu gut gemeint mit dem Herumgefahre.

Bisher ist die Schule noch nicht mit einer Rampe ausgestattet, doch der amtierende Schulleiter plant, übergangsweise eine hölzerne Rampe aus ortsüblichen Materialen zu konstruieren. Dann wäre immerhin der Haupteingang befahrbar für Fanta.

 

Das Projekt:

Das vom DFID gegründete und von einem Konsortium geleitete “Girls’ Education Challenge (GEC)” Projekt in Sierra Leone ist ein auf drei Jahren angelegtes Programm, das landesweit in fünf Distrikten bis Ende 2015 durchgeführt wird. Das Konsortium unter der Führung von Plan International besteht sowohl aus lokalen als auch international operierenden NROs (FAWE, IRC, Pikin to Pikin (lokaler Partner von Plan International) und Handicap International.) Die Partner wurden unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Fachgebiete ausgewählt. Der unterschiedlichen Kernkompetenzen zum Trotz, bemüht sich das Konsortium sehr darum, als Einheit gut zusammenzuarbeiten. Jede einzelne NRO verfolgt individuelle Zielsetzungen, doch darüber hinaus existieren auch organisationsübergreifende Ziele, für die sich alle Partner einsetzen.
Eine der besonderen Aufgaben von Handicap International besteht darin, Kinder ausfindig zu machen, die aufgrund von einer Behinderung nicht am Schulunterricht teilnehmen. Die Organisation hat es sich zum Ziel gesetzt, während des ersten Jahres 1000 betroffene Kinder zu ermitteln. Dieses Ziel haben sie bereits erreicht.. Unter Zuhilfenahme lokaler und offizieller Kontakte hat Handicap International ein Netzwerk freiwilliger Helfer aufgebaut, die darin geschult wurden, Kinder mit Behinderung ausfindig zu machen. Zudem bemühen sich die Freiwilligen darum, die Eltern von Kindern mit Behinderung weiter für das Thema zu sensibilisieren und ermutigen sie dazu, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Die Freiwilligen treten als Verbindungsstelle zwischen Betroffenen und den lokalen Schulen auf. Sie helfen bei der Anmeldung der Kinder und stellen sicher, dass die Schulen auf deren Ankunft angemessen vorbereitet sind. Jeder Distrikt verfügt über eine Geschäftsstelle, die bei der Ausführung der Aufgaben unterstützend wirkt.
25 April 2014
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