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Syrien: Langsam, aber sicher fängt Bana wieder an zu spielen

Minen und andere Waffen Nothilfe Rehabilitation und Orthopädie
Syrien

Waffen sind in Syrien allgegenwärtig. Fast jeder hat eine. Bana wurde von einem kleinen Jungen, einem Freund, in die Brust geschossen. Ausversehen, denn der Junge hatte die Waffe in der Tasche eines Erwachsenen entdeckt.

Bana bei einer Reha-Sitzung

n einem Nachmittag im Frühling 2013 ging die vierjährige Bana mit ihren Nachbarn zu einer lokalen Badestelle, um dort zu spielen. Einer der Erwachsenen brachte eine Waffe mit. Er hatte sie versteckt, aber nicht gut genug. Ein kleiner Junge fand die Waffe | © Giles Duley / Handicap International

An einem Nachmittag im Frühling 2013 ging die vierjährige Bana mit ihren Nachbarn zu einer lokalen Badestelle, um dort zu spielen. Einer der Erwachsenen brachte eine Waffe mit. Er hatte sie versteckt, aber nicht gut genug. Ein kleiner Junge fand die Waffe und spielte damit rum. Sie ging los und traf Bana in die Brust.

Ihre Mutter, Amal, erzählt uns, dass “der Junge, der Bana angeschossen hat, nur 5 Jahre alt war“. „Es war nicht seine Schuld, sondern ein Unfall. Es war die Schuld des Erwachsenen, der zugelassen hat, dass der Junge die Waffe gefunden hat. Ich habe Bana zu einem kleinen Krankenhaus gebracht, doch dort gab es weder Medikamente noch Verbandsmaterial. Sie haben sie ohne Betäubung operiert.“

Das Krankenhaus muss schrecklich gewesen sein für so ein kleines Kind. Unvorstellbar aus unserer Perspektive. Bana war umgeben von zahlreichen Körpern getöteter und verletzter Menschen – Opfer eines verheerenden Bombenangriffs. Die Folge waren schwere Traumata bei dem kleinen Mädchen und sie fing an, jeden, den sie kannte, anzuschreien: „Geht weg, geht schon, geht weg! Macht, dass ihr hier rauskommt, ihr werdet hier sterben!“

Zum Zeitpunkt des Unfalls lebte ihre Familie in einem Vorort von Damaskus. Amal erklärt uns: „Wir waren in einer schwierigen Situation – wir waren gefangen in dieser Stadt. Es gab so viele Waffen überall. Ich sah so viele Körper überall herumliegen; die ganze Zeit hatte ich unheimliche Angst.“

Bana wurde aus dem Krankenhaus entlassen, war aber in schrecklicher physischer Verfassung und wollte nichts essen. Sie zog sich in sich selbst zurück; ihre Mutter beschreibt es wie folgt: „Bana hörte auf mit uns zu sprechen. Sie wollte nichts essen und wurde aggressiv. Sie fing an, ihren älteren Bruder und ihre Schwester zu schlagen. Sie hatte Angst, nach draußen zu gehen oder die Tür zu öffnen, sie war einfach immer unheimlich ängstlich. Sie weigerte sich auch, selbst zu laufen; sie wollte, dass ich sie überall hin trage. Sie schlief sehr schlecht, hatte Alpträume und wachte manchmal mitten in der Nacht auf.“

UNHCR bot an, Bana und ihre Familie aus Syrien wegzubringen, doch noch in derselben Nacht schlug eine Bombe in ihrem Haus ein. Bana wurde wieder verletzt, ebenso wie ihre Schwester und ihre Mutter.

“Ich habe beide zum Krankenhaus gebracht und Lana (Banas Schwester) wurde an ihrem verletzten Kopf behandelt. Ihr ging es wieder besser, aber für Bana konnten die Ärzte nichts tun. Sie sagten mir, dass ihr Körper die Granatsplitter automatisch abstoßen würde, weil die Wunden oberflächlich seien. Noch heute hat sie jedoch Granatsplitter in ihrem Körper“, erinnert sich Amal.

Als die Gelegenheit sich bot, flieht die Familie über die Grenze.

Im Libanon wurden Bana und ihre Familie von Handicap International gefunden. Mit Hilfe unserer Psychologin hat das kleine Mädchen langsam angefangen, sich zu erholen. Es ist ein langer und schmerzvoller Prozess; sie ist immer noch ständig verängstigt und weicht nicht von der Seite ihrer Mutter. Sie schreit jedes Mal, wenn sie ein Flugzeug hört.

Abeer, unsere Physiotherapeutin, erzählt: „Es war sehr schwierig, eine physische Rehabilitation mit Bana zu beginnen, bevor Bana mit Rayan (unserer Psychologin) gesprochen hatte. Bana weigerte sich, sich von mir berühren zu lassen.“

„Als ich Bana das erste Mal traf, habe ich ihr gesagt, ‘ich bin deine Freundin, ich möchte nur mit dir reden und mit dir spielen’. Aber sie wollte nicht. Sie schrie die gesamte Zeit über und hat niemanden akzeptiert. Nachdem Rayan sie viele Male besuchte, fing sie an, mich zu akzeptieren und wir haben Bana dann gemeinsam besucht. Wir spielten und Rayan unterstützte sie psychologisch mit Zuspruch und Ermutigung. Es wurde besser.“

¬Obwohl sie am Anfang noch sehr schüchtern war, öffnete sich Bana mehr und mehr und so sagt sie heute: „Ich spiele sehr gerne mit anderen Mädchen, besonders gerne mit Abeer [ihrer Physiotherapeutin]. Und ich spiele mit meiner besten Freundin Noor. Wir spielen Spiele für Mädchen wie Frisieren. Mein Lieblingsspielzeug ist mein Stoffhase.”

Abeer benutzt den Stoffhasen (im Bild), um Übungen mit Bana durchzuführen und dem kleine Mädchen zu helfen, sich von der Schussverletzung zu erholen.

Bana erzählt: „Ich mag es im Libanon, in Syrien haben sie uns attackiert“. Ihre Mutter, Amal, stimmt ihr zu: „Das Leben im Libanon ist viel besser. Alles, was wir zu Hause sahen, waren Kämpfe und Gefechte. Es war schrecklich. Selbst vor dem Unfall lebten wir in ständiger Gefahr. Eineinhalb Jahre gab es kein Brot, es gab einfach nichts zu essen. Wir haben nichts anderes als Reis gegessen. Es gab keine Milch, kein Gemüse, nichts.“

„Besonders hart war es für die Kinder. Sie weinten ständig. Ich habe ihnen gesagt, dass alles gut werden würde, dass jemand kommen würde und wir aus diesem Chaos entkommen würden.“

Die jetzt fünfjährige Bana ist immer noch traumatisiert von ihren Erlebnissen, aber sie ist ein komplett anderer Mensch, verglichen zu dem Zeitpunkt, als unser Team sie das erste Mal traf.

Abeer stimmt zu: „Sie hat sich sehr verändert. Als ich sie das erste Mal wieder spielen gesehen habe, war ich wirklich glücklich und stolz auf sie. Und heute (als wir sie besuchten) war ich so glücklich, weil sie viel erzählte und spielte und sehr aktiv war.“


Einige Namen wurden auf Anfrage der InterviewpartnerInnen geändert.

29 Januar 2015
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