„Wir lebten in ständiger Angst“
Letztes Jahr erlitt Jihan schwere Verbrennungen bei einem Bombenangriff in Mossul. Vor einem Monat sind sie und ihre Familie aus der Stadt geflohen und haben Zuflucht im Flüchtlingslager Hasansham in den kurdischen Gebieten des Irak gefunden. Ein Team von Handicap International hat die junge Frau aufgesucht und sie mit Physiotherapie behandelt. So hat sie gelernt, welche Übungen sie täglich machen kann, um sich schnell wieder besser zu fühlen.
Die 17 jährige Jihan wurde opfer eines Bombenangriffes. Mit ihrer Familie floh sie daraufhin aus Mossul. | © E. Fourt / Handicap International
An jenem Tag waren wir alle zu Hause“, erklärt Jihan, als sie von dem Ereignis erzählt. „Die Sonne ging unter und ich war in die Küche gegangen, um das Abendessen zuzubereiten. Unser Haus wurde bombardiert, und eine Rakete explodierte direkt vor mir.“ Das junge Mädchen unterbricht seine Erzählung und bittet schüchtern Diana, die Sozialarbeiterin von Handicap International, sie hinter das Zelt zu begleiten. Dort zieht sie mehrere Schichten von Kleidung aus und zeigt einen Teil ihres Körpers. Ihre Arme, ihre Brust und ihre Schultern sind volllkommen verbrannt. „Jch wurde sofort ins Krankenhaus gebracht und ich bin dort ungefähr 20 Tage geblieben, aber die Ärzte haben meine Wunden schlecht behandelt. Heute tun mir meine Schultern weh und ich habe jedes Mal Schmerzen, wenn ich meinen Arm anhebe.“
Nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus wurde Jihan in ein Rehabilitationszentrum für Schwerverletzte gebracht. Sie blieb dort neun Monate. Andere Mitglieder ihrer Familie sind ebenfalls noch auf dem Weg der Genesung, insbesondere ihr kleiner Bruder, der erblindet ist, weil ihn bei der Bombardierung ein Granatsplitter ins Auge traf. Sobald sein Zustand und der von Jihan es zuliesen, beschloss die Familie beschlossen, aus Mossul zu fliehen. „Abgesehen von unseren Verletzungen war das Leben dort schlichtweg unmöglich geworden“, erklärt Sheima, ihre Mutter.
„Wir wurden täglich Zeugen öffentlicher Hinrichtungen, und wir fragten uns oft, wann wir an der Reihe sein würden. Wir lebten in ständiger Angst.“
Die Familie floh zuerst aus dem Westen von Mossul in den Osten der Stadt. Jihan und ihre Angehörigen gingen bei Nacht und zu Fuß, um nicht entdeckt zu werden. Dann, am 29. Dezember letzten Jahres, erreichten sie endlich das Lager Hasansham im irakischen Kurdistan. „Der Weg hierher war sehr hart“, fügt Sheima hinzu, „aber Gott sei Dank haben wir überlebt.“
Jihan und ihre Familie in ihrem Zelt © E. Fourt / Handicap International
Obgleich sich die Familie jetzt in Sicherheit befindet, gibt Jihan zu, dass das Leben im Lager alles andere als einfach ist. Die Jugendliche würde gern wieder zur Schule gehen, aber sie muss für den Unterhalt der Familie sorgen. „Wir müssen ja irgendwie leben…“, sagt sie „Wenn ich müde bin und meine Verletzungen schmerzen, arbeite ich trotzdem…..“
Damit das Leben weitergehen kann, konzentriert sich Jihan auch auf ihre Gesundheit. Sie wiederholt gewissenhaft die Übungen, die ihr Mohamad, der Physiotherapeut von Handicap International, empfiehlt, um im Alltag weniger Schmerzen zu spüren.
Jihan hört aufmerksam ihrem Physiotherapeuthen Mohamad zu © E. Fourt / Handicap International
Und wenn die Zeit es erlaubt, vergisst sie auch gerne mal die Gegenwart und träumt von der Zukunft. Sie träumt dann von ihrem Verlobten, der noch in Mossul festsitzt und der sie so oft wie möglich anruft. Ein Lächeln erhellt ihr Gesicht, ein Gegensatz zu ihrer sonst eher düsteren Stimmung. Jihan hofft, dass sie bald wieder vereint sein werden und dann endlich heiraten können.
„Dann werden wir uns gemeinsam einen Ort suchen, an dem wir in Frieden leben können“, bekräftigt sie.
Nothilfe in Mossul:
Die Kämpfe zwischen den bewaffneten Kräften und den Regierungstruppen im Irak haben in den letzten Jahren die Vertreibung von mehr als vier Millionen Menschen verursacht. Schätzungen zufolge benötigen insgesamt zehn Millionen Menschen im Irak humanitäre Hilfe. Durch die Offensive von Mossul sehen sich die internationalen Organisationen mit einer nie dagewesenen Herausforderung konfrontiert. Nach Angaben der Vereinten Nationen könnte dieser militärische Einsatz im schlimmsten Fall die größte humanitäre Krise des Jahres 2017 und die Vertreibung von einer Million Menschen auslösen. Fast 200.000 Menschen sind seit Oktober letzten Jahres vor den Kämpfen geflohen.