Co-Preisträgerin Friedensnobelpreis

Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit. Behinderungen

Interview zur UN Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung mit dem ehemaligen Geschäftsführer von Handicap International e.V., François De Keersmaeker

Moïse in Siegerpose auf einem Trainingsgerät.

Moïse aus Haïti hat große Pläne | © P.-M. Jean/Handicap International

Die UN Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung ist wohl das wichtigste Dokumente für die Rechte von Menschen mit Behinderung. Was sind aus Ihrer Sicht die bedeutendsten Inhalte und Neuerungen dieser Konvention?

FDK: Die Konvention ist ein Durchbruch für die Menschenrechte weltweit. Für uns sind die Artikel 11 und 23, die die internationale Zusammenarbeit betreffen, besonders relevant. Artikel 11 thematisiert die Nothilfe und verpflichtet die Staaten dazu, in Katastrophensituationen Menschen mit Behinderung in die Nothilfemaßnahmen miteinzubeziehen. Artikel 32 betrifft die internationale Zusammenarbeit und verpflichtet die Staaten, in der internationalen Kooperation Menschen mit Behinderung zu berücksichtigen und bestimmte Programme bereitzustellen. Diese internationalen Aspekte sind in keiner anderen Menschenrechtskonvention so dezidiert hervorgehoben worden. Das ist für unsere Arbeit als Handicap International natürlich besonders wichtig. 
Aber allein die Tatsache, dass es eine eigene Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung gibt, ist eine gigantische Anerkennung und ein sehr großer Sprung für der Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung, nach den Konventionen für Kinder und Frauen ist es die dritte Konvention für eine bestimmte Menschengruppe. In der Welt der Entwicklungs- und Nothilfe hat die UN Konvention eine Grundlage geliefert, die die Staaten dazu verpflichtet, zu handeln. In Deutschland zum Beispiel gibt es jetzt einen Aktionsplan des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Behinderung und Inklusion sind langsam keine Randthemen mehr.

Was sind die konkreten Auswirkungen der Konvention auf die deutsche Entwicklungspolitik und damit auch auf die Arbeit von Handicap International in den Ländern?

Das Thema Behinderung wurde nicht nur vom BMZ aufgegriffen, sondern auch von der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ). Sie gründete bereits kurz nach der Ratifizierung der UN Konvention durch Deutschland ein Sektorvorhaben, um das Thema zu bearbeiten. Dieses Sektorvorhaben wurde bereits im Laufe der ersten Jahre finanziell aufgestockt. Nach drei Jahren wurde die Finanzierung verdoppelt, es wurde mehr Personal und mehr Geld zur Verfügung gestellt, um das Thema Behinderung in der Struktur der GIZ, aber auch im BMZ durchzusetzen und zu installieren. Das BMZ hat sich selbst einen 10 Punkte Plan mit konkreten Maßnahmen für drei Jahre gegeben. Erstmals wird das Stichwort Behinderung nicht mehr nur in anderen Maßnahmeplänen (z.B. in den Bereichen Gesundheit oder Menschenrechte) erwähnt. Zwar konnten wir als VENRO AG Behinderung das Thema Behinderung immer wieder in Strategiepapieren des BMZ platzieren, allerdings ohne praktische Konsequenzen. Der Aktionsplan dagegen ist erstmals ein operativer Plan, mit konkreten Maßnahmen zur Umsetzung.

Welche Auswirkungen hat das auf die Arbeit von Handicap International? 

Auf ideeller Ebene setzt sich in der Arbeit für Menschen mit Behinderung sich immer mehr ein menschenrechtbasierter Ansatz durch. Nach dem medizinischen und sozialen Ansatz ist das eine weitere Entwicklung, wodurch die Verpflichtung der Staaten, sich für Menschen mit Behinderung einzusetzen, noch verstärkt wird. 

Die UN Konvention dient dabei als gemeinsame Sprache in den Verhandlungen mit deutschen Ministerien, aber auch in der Zusammenarbeit mit den Regierungen anderer Länder. Auf dieser Basis kann das BMZ in Regierungsverhandlungen mit anderen Staaten nachfragen, wie die Implementierung der UN Konvention vorangeht. Wir haben Verpflichtungen aus Artikel 32 euch zu unterstützen, aber was tut ihr selbst? Die Konvention bedeutet also eine internationale Sprache und eine internationale Verpflichtung, deren Umsetzung man von den betroffenen Staaten einfordern kann. Das bedeutet auch eine Politisierung der Arbeit unserer Kolleginnen und Kollegen vor Ort und die Stärkung lokaler Behindertenorganisationen (DPOs).

Wie ist die Rolle von Handicap International in diesem politischen Prozess der Entstehung der Konvention und generell in politischen Prozessen? 

In der Entstehung der Konvention waren wir mit anderen Organisationen, wie der International Disability Alliance (IDA) und CBM, stark involviert, um den Entwicklungsländern eine Stimme zu geben. Durch Handicap International und die Partnerorganisationen war es möglich, DPOs aus dem Süden in den Prozess zu involvieren. Es gehört zu den Stärken von Handicap International den Betroffenen selbst eine Stimme zu geben. Diese Selbstvertretung und Anwaltschaft für sich selbst hat eine unglaubliche Kraft und gibt dem Prozess Glaubwürdigkeit und Legitimation. Es ist wichtig,  dass Menschen mit Behinderung ihre Bedürfnisse selbst einbringen können. Als Fachorganisation können wir eine Anwaltschaftsrolle übernehmen und die Stimme von Menschen mit Behinderung aus Entwicklungsländern stärken. Artikel 11 und 32 behandeln nun auch ganz konkret die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung in Entwicklungsländern und wie schwächere Länder unterstützen werden sollten, um ihre Verpflichtungen aus der Konvention wahrzunehmen. Die UN Konvention wirkt als Hebel für unsere Arbeit, sie öffnet Türen, um Projekte für Menschen mit Behinderung voranzubringen. Z.B. im Bereich Barrierefreiheit können wir dadurch sehr schnell konkrete Erfolge feiern. 

Wo sehen Sie in der Zukunft notwendige Schritte und in welche Richtung gehen die politischen Bemühungen im Moment? 

Vor allem in Richtung Nachhaltigkeit. Ähnlich wie bei Genderthematik und Klimawandel, die vor einigen Jahren in aller Munde waren, besteht die Gefahr, dass man in ein paar Jahren wieder in üblichen Mustern denkt und das Thema Inklusion wieder von Integration oder Berücksichtigung von Menschen mit Behinderung abgelöst wird. Der Blick auf Behinderung darf nicht wieder in eine rein technischen Sichtweise zurückfallen, die Menschen mit Behinderung vor allem mit Rollstühle und Rampen gleichsetzt. Ich glaube, die Herausforderung ist die Frage, was eigentlich Inklusion ist? Heute ist Inklusion noch relativ stark mit dem Thema Behinderung verknüpft, aber wir sprechen auch von Inklusion von Ausländern oder älteren Menschen -  eben von allen Menschen, die vermeintlich "anders" sind. 
In den meisten Grundsatzdokumenten werden verschiedene Randgruppen erwähnt: Kinder, Frauen, Menschen mit Behinderung, ältere Personen... Alle, die eine solche Kategorie durchgesetzt haben, werden aufgelistet und alle kämpfen für die Anerkennung der eigenen Gruppe. Ich glaube die Herausforderung ist, dass wir irgendwann zu einem gemeinsamen Verständnis von Inklusion kommen müssen. 

Bedeutet das eine Abkehr von der Diskussion über die Inklusion einzelner Gruppen hin zu einer allgemeinen Inklusion aller marginalisierten Gruppen?

Es geht um eine inklusive Gesellschaft. Dabei sehe ich zwei Aufgaben: Zum einen ist es unser Ziel, dass Menschen mit Behinderung inkludiert werden, zum anderen gibt es das Streben nach einer inklusiven Gesellschaft. Eine inklusive Gesellschaft bedeutet aber nicht nur, dass Menschen mit Behinderung darin Platz finden, sondern auch alle anderen marginalisierten Gruppen. Also eine Gesellschaft, in der die Verschiedenheit der Menschen eine Selbstverständlichkeit ist und eine höchste Form der sozialen Entwicklung realisiert wird. 

Hier liegt aber auch die Problematik: wann verliert ein Thema an Bedeutung, wenn der Fokus auf einer allgemeineren Problematik liegt? Verliert das Thema Behinderung an Bedeutung, wenn die allgemeine Inklusion in den Vordergrund gestellt wird? 

Zurzeit versuchen wir die Institutionalisierung des Themas Behinderung durchzusetzen. Es gibt zwar einen Aktionsplan und ein Budget des BMZ für drei Jahre, aber noch kein eigenes Referat für  Menschen mit Behinderung. (Die GIZ unterhält bereits ein solches Referat.)  Aus meiner Sicht müssen wir auf ein solches Referat hinarbeiten und auch im Bereich der NGOs muss das Thema aufgegriffen werden. Es gibt bereits eine Tendenz in diese Richtung, viele Organisationen haben bereits Behindertenbeauftragte eingesetzt, um das Thema intern voranzubringen. Die Zukunft wird zeigen, wie die Belange von Menschen mit Behinderung auch langfristig in den einzelnen Organisationen und Ministerien verankert werden. Im Idealfall wird sich dann die Frage stellen, wie das Thema wieder verschwinden kann, weil es sich verselbstständigt hat. 

Das Problem ist vor allem in den Köpfen der Menschen und die UN Konvention ist ein wichtiger Schritt in Richtung Anerkennung und zum Bewusstsein, dass wir alle etwas dazu beitragen können.

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