Entminerin Jennifer: „Anfangs hatte ich viel Angst“
Jahre nach dem Ende des kolumbianischen Bürgerkriegs bedrohen weiterhin zehntausende Blindgänger die Bevölkerung. Doch erst kürzlich konnte ein Dorf zur sicheren Zone erklärt werden. Das Team von Handicap International hatte das Gebiet abgesucht und dabei mehr als 30 Sprengsätze gefunden. Immer mehr Frauen übernehmen diese gefährliche Arbeit. So auch Jennifer Diaz, eine alleinerziehende Mutter.
Immer mehr Frauen übernehmen die gefährliche Arbeit der Entminung. So auch Jennifer Diaz, eine alleinerziehende Mutter. | © Till Mayer/HI
Jennifer ist eine starke Frau: Die 26-Jährige und ihr Team müssen bei Maracaibo etwa 11.000 m² absuchen. Das sei harte Arbeit, erzählt sie. Zwei Minen haben sie in dem abgesteckten Gebiet schon gefunden. Die junge Frau ist sich der ständigen Gefahr bewusst. Meter für Meter scannt sie den Boden mit dem Suchgerät. Die Schutzweste ist schwer und ihr Gesicht schwitzt hinter dem Plexiglas. Zuerst muss sie den Sprengkörper finden und diesen dann sehr sorgfältig freilegen. Häufig piept das Gerät bloß wegen einer Getränkedose oder anderem Metallschrott. Doch ehe Jennifer Entwarnung geben kann, muss sie nach jedem Alarm genau nachsehen. Sie kniet dann auf dem feuchten Boden, schiebt vorsichtig modrige Blätter zur Seite und legt ein paar Zweige weg. Da ist höchste Konzentration gefragt. Wenn sie etwas Gefährliches gefunden hat, muss sie das Objekt markieren und deutlich sichtbar machen. Danach wird der Sprengkörper von einem Spezialteam entweder entschärft oder gesprengt.
Ohne Entminung kein sicheres Leben
„Die meisten Blindgänger, die wir finden, sind selbstgebaute Sprengsätze“, erzählt Jennifer – Hinterlassenschaften der Guerilla – beispielsweise Granaten mit aktiven Zündern, Sprengladungen, die mit tausenden Nägeln gefüllt sind, Minen oder Munitionsreste. Obwohl sie immer wieder Angst hat, einen Sprengsatz zu übersehen oder unvorsichtig zu sein, weiß sie, dass ihre Arbeit die Grundlage für ein sicheres Leben in ihrem Dorf Maracaibo ist. Erst wenn die Spezialist*innen von HI eine Region für sicher erklären, können die Bauern die Felder nutzen, die Kinder herumspielen oder die Wege benutzen. „Wir werden dafür sorgen, dass die Minen verschwinden, damit die Bauern ohne Gefahr Kaffee anbauen und Vieh halten können", sagt die junge Frau entschieden. Und sie fügt stolz hinzu: „Die Menschen vor Ort haben großen Respekt vor unserem Einsatz.“
Ihr Vater wurde ermordet, ihre Brüder zwangsrekrutiert
Jennifer entmint genau in der Region, in der sie aufgewachsen ist. „Die gesamte Region stand unter der Kontrolle einer Guerillaorganisation", erzählt sie. Ihr Vater wurde von Kämpfern ermordet, als sie ein Jahr alt war. Ihre beiden älteren Brüder wurden als Teenager zwangsrekrutiert. „Seitdem sind sie verschwunden. Und es gibt keine Hoffnung, sie lebend wiederzusehen", sagt Jennifer Diaz leise. Damals floh ihre Mutter mit ihren anderen Kindern, versuchte sich ein neues Leben aufzubauen. Jennifer kam erst mit sieben Jahren in die Vorschule, da war sie die Älteste und Größte. Doch seitdem hat sie sich durchgebissen, hat die Schule beendet, danach einen technischen Abschluss gemacht – und sah dann das Jobangebot von Handicap International: Entminerin. „Anfangs hatte ich viel Angst und ich hatte keine Ahnung, wie das geht“, erzählt sie. Aber nach mehreren Schulungen hat sich die junge Frau schnell eingearbeitet. Sie liebt ihren Job trotz all der Mühsal. Die Entminer*innen leben immer vier Wochen lang am Stück in einem Camp. Jennifer kann ihre Tochter Keira nur sehen, wenn sie frei hat. Ohne die beiden Großmütter, die die Kleine betreuen, würde sie das nicht schaffen. Doch der Zusammenhalt und die gemeinsame Arbeit im Team erfüllt sie. Im Moment kann sich Jennifer ihr Leben ohne diese herausfordernde Arbeit nicht vorstellen. Denn sie weiß, dass die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Region auch von ihr und ihrem Team abhängt. Mittelfristig hat sie auch noch mehr Pläne. Sie möchte gerne Umweltmanagement studieren, um den ökologischen Tourismus in ihrer Heimat zu fördern. Aber das klappt erst, wenn alle explosiven Sprengsätze geräumt sind.
Unser Einsatz
Handicap International entmint derzeit in fünf kolumbianischen Regionen. Kolumbien belegt Platz zwei der am stärksten verminten Länder der Welt, direkt nach Afghanistan. In den letzten 25 Jahren gab es über 11.500 Minenopfer. Laut Studien von Handicap International haben 80% der Überlebenden eine Behinderung. Die Teams versorgen diese nicht nur mit Physiotherapie, Prothesen oder Rollstühlen, sondern geben auch psychische Unterstützung.