Irak-Bericht: katastrophale Folgen von Kriegsresten
Unser am 13. Oktober 2021 veröffentlichter Bericht „No safe recovery“ zeichnet ein erschütterndes Bild vom Alltag der irakischen Bevölkerung.
Überreste einer mit Sprengfallen zerstörten Moschee | © F. Vergnes/HI
Fünf Jahre nach dem Ende der gewalttätigen Auseinandersetzungen ist das Land immer noch mit Minen, Blindgängern und anderen explosiven Kriegsresten verseucht. Rund 8,5 Millionen Irakerinnen und Iraker leben inmitten dieser tödlichen Überreste. Eltern und Kinder haben Angst, da immer wieder Sprengsätze in Schulen entdeckt werden. Andere brauchen so verzweifelt ein Einkommen, dass sie auch in Gegenden arbeiten, die als hochgefährlich bekannt sind. Der Bericht zeigt, dass die Entminung von Städten komplizierter, zeitaufwändiger und teurer ist als in ländlichen Gegenden. Jährlich werden im Irak hierfür 170 bis 180 Millionen US-Dollar benötigt. Die zerstörte Infrastruktur wie Krankenhäuser, Schulen, Brücken und Straßen sowie die Gefahr durch Blindgänger verhindern darüber hinaus, dass ein Leben in Sicherheit aufgebaut werden kann und geflohene Iraker*innen zurückkehren können.
Bombardierung von Städten: Direkte und langfristige Zerstörungen
Der Irak ist weltweit eines der am stärksten durch Kriegsreste verseuchten Länder. Nach unseren Recherchen und Untersuchungen ist das Leben, die Sicherheit und der Zugang zu Versorgungsleistungen für die Menschen in Städten wie Mossul, Sinjar oder Tel Afar weiterhin durch explosive Kriegsreste stark bedroht. Die Bombardierung der Wohngebiete raubte nicht nur Zehntausenden das Leben, sondern hinterließ auch Schulen, Felder, Wege, Häuser, Wasseraufbereitungsanlagen oder Geschäfte mit Sprengkörpern übersät.
Keine Chance auf Wiederaufbau
„Bomben und Städte sollten nie aufeinandertreffen“, sagt Dr. Eva Maria Fischer, Leiterin der Politischen Abteilung von Handicap International Deutschland.
„Nicht nur, dass der Einschlag selbst ein Höchstmaß an Tod, Verletzung und Zerstörung an Gebäuden und Infrastrukturen verursacht, die zurückbleibende explosive Verseuchung beraubt eine Bevölkerung auch jeglicher Chance, ihr wirtschaftliches und soziales Leben wiederaufzubauen.“
Weiterhin zeigen unsere Untersuchungen, dass die Entminung von Städten sechsmal so teuer ist und achtmal länger dauert als die Entminung von ländlichen Gebieten und dass es außerdem an hochspezialisierten Entminungsfachkräften fehlt.
Wir fordern starke politische Erklärung zum Schutz vor Bombardierungen
„Die derzeitigen Einsatzregeln genügen nicht, um die Zivilbevölkerung in bewohnten Gebieten während eines Konflikts zu schützen, und wie wir im Irak sehen können, auch noch Jahre nach Beendigung der Kämpfe.“
Nach zwei Jahren diplomatischer Gespräche erwarten wir, dass nun bald eine starke politische Erklärung zum Schutz vor Bombardierungen in Wohngebieten beschlossen wird. „Dies wäre ein historischer Durchbruch für den Schutz der Zivilbevölkerung in Konflikten“, so Fischer.
Sprengsätze in Kinderspielzeug
Da es noch lange dauern wird, bis die Städte entmint sind, können auch viele Vertriebene nicht in ihr Zuhause zurückkehren. Im Jahr 2020 wurden 678.512 Binnenvertriebene gezählt. Viele Bewohner*innen müssen mit der ständigen Gefahr der Blindgänger und Sprengfallen leben. Diese sind überall zu finden: im Boden vergraben, an Türen oder Fenstern, in Trümmern, in Kinderspielzeug, in Haushaltsgeräten usw. versteckt.
„Die Zeiten der ‚ordentlichen‘ Minenfelder sind vorbei", sagt Eva Maria Fischer
„Wir sprechen von Sprengsätzen, die durch Stolperdrähte in Fluren ausgelöst werden, von Fliegerbomben, die nie explodiert sind, die von Trümmern umgeben sind, und von Kinderspielzeug, das mit Sprengstoff gefüllt ist."
Wenn nichts unternommen wird, kann die Gefahr durch explosive Sprengsätze über Generationen hinweg bestehen bleiben und die Bemühungen um Frieden und Entwicklung erheblich behindern, so unser Bericht.
Wir haben für den Bericht vor allem in dem dicht besiedelten Regierungsbezirk Ninawa Räumungsexpert*innen, lokale und internationale humanitäre Akteur*innen, Regierungsvertreter*innen, Gemeindevorsteher*innen, Überlebende und Mitglieder ihrer Familien befragt und Recherchen durchgeführt.
Den ausführlichen Bericht in englischer Sprache finden Sie hier.
Das Faktenblatt auf Deutsch hier.