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Litauen plant Ausstieg aus Streubomben-Verbotsvertrag

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Die humanitäre Hilfsorganisation Handicap International (HI) ist zutiefst besorgt über die Pläne der litauischen Regierung, aus der Konvention über das Verbot von Streumunition auszutreten. Wir fordern die Verantwortlichen dringend auf, diesen Schritt zu überdenken. 

Ein geöffneter Streubombenblindgänger liegt zwischen Büschen. Überall liegt die Submunition verstreut.

Streubombenblindgänger wie dieser im Libanon bedrohen vor allem die Zivilbevölkerung. | © Z. Johnson / Handicap International

Seit der Verabschiedung der Konvention in Dublin am 30. Mai 2008 ist noch nie ein Vertragsstaat ausgetreten. Der Schritt Litauens würde einen negativen Präzedenzfall für das Abkommen und das humanitäre Völkerrecht im weiteren Sinne schaffen.


Am 3. Juli billigte die litauische Regierung den Vorschlag des Verteidigungsministeriums, aus dem Abkommen auszutreten. Der Gesetzentwurf wird am 11. Juli dem Parlament vorgelegt und muss anschließend vom Präsidenten genehmigt werden. Litauen hatte im vergangenen Jahr begonnen, den Austritt aus dem Übereinkommen zu erwägen, nachdem die Vereinigten Staaten im Juli 2023 Streumunition an die Ukraine geliefert hatten.  


Diese Entscheidung würde einen großen Rückschritt für das Übereinkommen und die weltweite Ächtung von Streumunition bedeuten. HI fordert alle Vertragsstaaten auf, sich unmissverständlich zu dieser wichtigen Konvention zu bekennen und die Entscheidung Litauens klar zu verurteilen.

 „Noch nie ist ein Land aus der Streumunition-Konvention ausgetreten. Der Rückzug Litauens stellt einen gefährlichen Präzedenzfall dar und wird tiefgreifende Auswirkungen haben, da er die Rechtsstaatlichkeit und die Normen gegen diese Waffen weiter untergräbt. 95 % der Opfer von Streumunition sind Zivilist*innen. Die Entscheidung Litauens erfolgt vor dem Hintergrund zunehmender Angriffe gegen internationale Standards in den letzten Jahren. Gerade deshalb erwarten wir nun von der deutschen Regierung, die sich bisher als besonders aktiver und verlässlicher Vertragssaat gezeigt hat, ein klares öffentliches Bekenntnis zu dieser wichtigen Konvention!“ sagt Dr. Eva Maria Fischer, Leiterin der politischen Abteilung von Handicap International Deutschland. 

Streubomben: eine aus gutem Grund geächtete Waffe 

Die von Litauen vorgebrachten Argumente, dass wir in außergewöhnlichen Zeiten leben, dass Streumunition eine gute Abschreckung gegen einen potenziellen Feind sein kann und dass sie einen großen militärischen Nutzen hat, sind fragwürdig. Diese Waffen sind wegen ihrer katastrophalen humanitären Folgen verboten worden, die den militärischen Nutzen bei weitem überwiegen. Abkommen wie die Konvention zu Streumunition legen Standards fest, die nicht nur in Friedenszeiten, sondern gerade in Konflikt- und Kriegszeiten beachtet werden müssen. 

Streumunition tötet und verletzt wahllos

Streumunition kann vom Boden aus durch Artillerie, Raketen, Flugkörper und Mörsergeschosse abgefeuert oder von Flugzeugen abgeworfen werden. Sie öffnen sich in der Luft und verstreuen mehrere Submunitionen, auch Bomblets genannt, über ein großes Gebiet. Dabei unterscheiden sie nicht zwischen Zivilbevölkerung und Militärangehörigen oder zwischen ziviler und militärischer Infrastruktur. Außerdem explodieren viele Submunitionen beim ersten Aufprall nicht - bis zu 40 % von ihnen - und hinterlassen Blindgänger, die wie Landminen jahrelang wahllos verletzen und töten können. Aufgrund von Testbedingungen festgelegte niedrig erscheinende Blindgänger-Quoten haben sich bisher im Einsatz immer als deutlich höher erwiesen. 

Das Übereinkommen über Streumunition, das Litauen im März 2011 ratifiziert hat, bietet den optimalen Rahmen für die Bekämpfung und Verhinderung der schwerwiegenden Folgen von Streumunition. Der jüngste Cluster Munition Monitor Report 2023 zeigt, dass 95 % der Opfer von Streumunition Zivilist*inen sind, sowohl zum Zeitpunkt des Einsatzes als auch noch viele Jahre danach. 71 % der Opfer von Streumunitions-Rückständen sind Kinder.

Besorgniserregende Entwicklung seit 2022

Laut dem Cluster Munition Monitor 2023 wurden im Jahr 2022 mindestens 987 Menschen durch Streumunitionsangriffe getötet oder verletzt, davon 890 in der Ukraine. Russland hat seit Februar 2022 wiederholt Streumunition in der Ukraine eingesetzt. Auch von den ukrainischen Streitkräften wurden erste Einsätze gemeldet. Im Juli 2023 hatten die Vereinigten Staaten mit der Übergabe einer nicht näher bezeichneten Menge ihrer Bestände an die Ukraine begonnen. 

Eine starke internationale Konvention 

Bis heute haben sich 124 Staaten zu den strengen und umfassenden Normen der Konvention bekannt, wobei im letzten Jahr zwei neue Staaten hinzugekommen sind. Dies entspricht mehr als 60 % der Weltbevölkerung. Litauen beteiligte sich aktiv am Oslo-Prozess zum Verbot von Streumunition und gehörte zu den ersten Ländern, die am 3. Dezember 2008 in Oslo das Übereinkommen über Streumunition unterzeichneten. Litauen ist seit 2011 Vertragsstaat des Osloer Übereinkommens. Das Land ist bisher nicht im Besitz von Streumunition und hat solche Waffen nie hergestellt, gelagert, weitergegeben oder eingesetzt.
 

 

11 Juli 2024
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