US-Streubomben-Lieferung an Ukraine
Nach ihrer Entscheidung im Juli, Streumunition an die Ukraine zu liefern, schickt die US-Regierung Biden diesen Monat eine zweite Lieferung dieser Waffen, die nach dem Osloer Übereinkommen verboten sind. Dr. Eva Maria Fischer, Leiterin der politischen Abteilung von Handicap International Deutschland, erklärt, was diese Entscheidung für den Schutz der Zivilbevölkerung bedeutet.
Wir klären Kinder in der Ukraine über die Gefahren von Streumunitionen und Blindgängern auf | © R. Crews / HI
Warum ist Streumunition so gefährlich für die Zivilbevölkerung?
Streumunition gehört zu den gefährlichsten Waffen für die Zivilbevölkerung. 95 % aller Menschen, die durch diese Waffen getötet oder verletzt werden, sind Zivilist*innen. Wenn Streumunition aus einem Flugzeug abgeworfen oder vom Boden abgeschossen wird, setzt sie Hunderte von Submunitionen frei, die eine Fläche so groß wie ein Fußballfeld bedecken können. Dadurch trifft sie immer wahllos militärische Ziele und gleichzeitig zivile Opfer. Da zwischen 10 und 40 % der Submunitionen beim Aufprall nicht explodieren, bedeuten diese Waffen oft noch lange nach Beendigung der Kampfhandlungen eine ernsthafte Bedrohung für die lokale Bevölkerung.
Nachdem Einsätze von Streumunition nach dem Abschluss eines internationalen Verbotsvertrags jahrelang zurückgegangen waren, sind in jüngster Zeit die Einsätze und die Zahl der durch sie verursachten Opfer wieder angestiegen: Im Jahr 2022 wurden 1.172 Menschen durch Streumunition getötet oder verletzt. Dies ist die höchste jährliche Zahl, die der Cluster Munition Monitor seit seiner ersten Veröffentlichung im Jahr 2010 verzeichnet hat.
Wie verbreitet ist der Einsatz von Streumunition in der Ukraine?
Seit 2014 haben die russischen Streitkräfte in der Ukraine intensiv Streumunition eingesetzt, durch die Hunderte von Zivilist*innen getötet und verletzt und wichtige zivile Infrastrukturen massiv beschädigt wurden. Auch über den Einsatz dieser Waffen durch ukrainische Streitkräfte wurde mehrfach berichtet.
Wie der Cluster Munition Monitor aufzeigt, wurden im Jahr 2022 in der Ukraine 916 Opfer von Streumunition registriert, davon 890 direkt durch Angriffe mit Streumunition. Da während des Krieges Daten oft nur unvollständig übermittelt werden, ist diese Zahl wahrscheinlich zu niedrig angesetzt.
Wann immer Streumunition eingesetzt wird, hat sie sowohl unmittelbare als auch langfristige Auswirkungen. Diese Waffen verursachen Todesfälle oder verheerende Verletzungen, oft gefolgt von psychologischen Traumata und anderen psychischen Problemen. Langfristig verhindern nicht explodierte Submunitionen auch den Wiederaufbau der Infrastruktur und werden den Zugang für viele humanitäre Akteure weiterhin erschweren, was die notwendige Hilfe für die Zivilbevölkerung in der Ukraine einschränkt.
Die Ukraine ist bereits massiv durch Explosivwaffen kontaminiert, was das tägliche Leben ganzer ukrainischer Gemeinden noch jahrzehntelang beeinträchtigen wird. Die Auswirkungen der Verseuchung werden auch vom künftigen Einsatz von Streumunition abhängen. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass, wann immer Streumunition eingesetzt wird, die Zivilbevölkerung am meisten darunter zu leiden hat.
Wie steht HI zur Entscheidung der US-Regierung Biden, Streumunition zu liefern?
HI verurteilt die Entscheidung der Biden-Regierung aufs Schärfste. Wir sind gegen jede Weitergabe von Streumunition, egal unter welchen Umständen und an welche Partei. Damit stimmen wir mit der Oslo Konvention von 2008 überein, die den Einsatz, die Lagerung, die Weitergabe, die Herstellung und den Verkauf von Streumunition verbietet. 124 Staaten haben die Oslo Konvention unterzeichnet, und das Verbot dieser barbarischen Waffe ist damit eine weithin anerkannte internationale Norm.
Die Weitergabe von Streumunition durch die US-Regierung an die Ukraine schwächt diesen weltweiten Konsens gegen den Einsatz von Streumunition und untergräbt ernsthaft die Bemühungen um deren Abschaffung.
HI appelliert an die Konfliktparteien, den Einsatz von Streumunition unverzüglich einzustellen. Wir fordern außerdem die Vertragsstaaten der Oslo-Konvention – einschließlich Deutschland - dazu auf, ihren rechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und jeden neuen Einsatz entschieden, öffentlich und systematisch zu verurteilen.