1 Jahr Taliban-Regime in Afghanistan: Mehr Hilfe für Menschen mit Behinderung dringend notwendig
Seit der Machtübernahme der Taliban hat sich die humanitäre Lage dramatisch verschlechtert. Vor allem Menschen mit Behinderung kämpfen mit dem schlechten Gesundheitssystem und der desaströsen Wirtschaftskrise. Die Hilfsorganisation Handicap International (HI) macht darauf aufmerksam, dass viele Menschen Opfer von Bombardierungen oder Blindgängern sind und langfristige Unterstützung benötigen.
Die 7-jährige Amina verlor ihr Bein bei einem Bombenangriff. Im HI-Reha-Zentrum bekam sie eine Prothese. | © Till Mayer/HI
24,4 Millionen Afghanen und Afghaninnen brauchen nach Angaben von Hilfsorganisationen dringend humanitäre Hilfe. Das sind 55 Prozent der Bevölkerung. 2021 waren es rund 21 Millionen und 2020 acht Millionen. Allein 1,1 Millionen Kinder gelten als unterernährt. Zudem hat ein Großteil der afghanischen Bevölkerung nach vier Jahrzehnten Gewalt und Konflikten in irgendeiner Form eine Behinderung. Mohammad Rasool, Projektkoordinator der gemeinnützigen Hilfsorganisation HI in Afghanistan, fügt hinzu: „Die Daten aus unserem Reha-Zentrum in Kandahar zeigen, dass die meisten Menschen durch den Kontakt mit Sprengstoff, Landminen und anderen explosiven Kriegsresten verletzt wurden.“ So zum Beispiel der kleine Imran. Der 7-Jährige spielte gerade mit seinen Freunden, als er einen seltsamen Gegenstand auf dem Boden sah. „Als ich das Ding berührte, explodierte es“, erzählt der Junge. Nach mehreren Operationen wurde er ins HI-Reha-Zentrum gebracht, bekam Bein-Prothesen und wird seitdem von HI-Fachkräften regelmäßig behandelt.
Bargeld für die ärmsten Familien gegen Hunger
Neben den schlimmen Verletzungen durch Blindgänger, leiden auch viele Menschen an schweren Verwundungen aus den gewaltsamen Kämpfen der vergangenen Jahre oder an den Folgeerscheinungen von Unterernährung und fehlenden Gesundheitsdiensten. Angesichts der prekären Lage für etwa die Hälfte der Bevölkerung hat Handicap International begonnen, Bargeld an Familien zu verteilen, die besonders betroffen sind. Viele haben Mühe, überhaupt etwas zu essen zu bekommen. Da kein Bargeld mehr im Umlauf ist, werden beispielsweise Beamte seit Monaten nicht mehr bezahlt und haben kein Geld mehr für das Nötigste. „Seit einigen Monaten unterstützen wir sehr arme Familien, in denen es Menschen mit Behinderung oder viele Alte gibt. Sie sind diejenigen, die oft keine Hilfe abbekommen”, berichtet Julio Cesar Ortiz Arguedas, HI-Länderchef in Afghanistan. „Das Geld wird in der Regel für Lebensmittel oder Arztbesuche ausgegeben”, so Ortiz weiter.
360 lokale Mitarbeiter*innen – darunter über 100 Frauen
In fünf Provinzen versorgen die Teams von HI nicht nur Menschen mit Amputationen und anderen schlimmen Verwundungen, sondern unterstützen auch bei Traumatisierung und kümmern sich um langfristige Reha-Maßnahmen. Außerdem bilden sie Physiotherapeut*innen aus, um die Versorgung im Lande auszuweiten. Allein im Reha-Zentrum in Kandahar werden jährlich 9.000 Menschen behandelt. Darüber hinaus klären sie vor allem Kinder vor den Gefahren der explosiven Kriegsreste auf, die die Zivilbevölkerung bedrohen.
Handicap International ist mit mehr als 360 lokalen Mitarbeiter*innen vor Ort, darunter über 100 Frauen.