Syrien: Sichere Rückkehr nach Hause
Räumungsexperte David Theodore Francis erklärt im Interview, wie Handicap International (HI) in Syrien arbeitet, um das Land von Blindgängern zu befreien und so der Bevölkerung eine sichere Rückkehr in ihre Heimat zu ermöglichen.
Sitzung zur Gefahrenaufklärung mit Kindern im Dorf Zur Shummar in der Region Rakka. So lernen die Kinder, sich vor Blindgängern zu schützen. | © N. Bimbashi / HI
HI ist in sieben Dörfern in der Provinz Deir ez-Zor aktiv. Was tun wir genau?
Unsere Einsätze fangen damit an, dass unsere Teams für Gemeindearbeit die Bewohnerinnen und Bewohner treffen und das Eis brechen. Das Team redet mit ihnen über Gefahren und ihre Sorgen und was ihnen wichtig ist.
Wir haben uns nach und nach in den Gemeinden eingebracht und so das Vertrauen der Leute gewonnen. Anfangs durften wir nur an einem Ende des Dorfes Khasham arbeiten, aber mittlerweile können unsere Teams das gesamte Gebiet betreten.
Wir haben an besonders wichtigen Orten wie Schulen, Krankenhäusern und Wasseraufbereitungsanlagen mit der Räumung von gefährlichen und leicht sichtbaren Blindgängern begonnen. Das sind Gegenstände, die ein Kind hätte aufheben können.
Heute jagen uns die Leute buchstäblich auf Motorrädern hinterher und rufen: „Bitte, kommt zu meinem Haus. Ich habe eine Rakete entdeckt.“ Das Vertrauen, das wir uns erarbeitet haben, ist entscheidend. Die Leute melden uns jetzt, wo sie Kriegsreste in ihrer Umgebung finden. Dann können wir sie sicher entfernen.
Kehren die Menschen in ihre Dörfer zurück?
Ja, langsam aber sicher. Eine Familie, mit der wir im Austausch sind, ist seit sechs Monaten zurück, andere erst seit zwei. Es ist, als würde man einen Wasserhahn aufdrehen – der Strom der Rückkehrenden nimmt zu, besonders seit das Schuljahr im Juli zu Ende gegangen ist. In manchen Gebieten steigt deshalb auch die Zahl der gefährlichen Gegenstände, die wir finden.
Welche Arten von explosiven Kriegsresten findet ihr?
Es gibt jede Menge Raketen, Granaten und Munition, die von bewaffneten Gruppen zurückgelassen wurden. Wir haben viele davon geräumt, aber Gebiete voller Trümmer brauchen eine besondere Genehmigung – vor allem, wenn es sich um ehemalige Wohnhäuser handelt. Im Moment konzentrieren wir uns darauf, die sichtbaren Gefahren zu beseitigen.
Hat es während des Einsatzes gefährliche Situationen gegeben?
Zwei Erlebnisse sind mir besonders in Erinnerung geblieben. Einmal brachte mir ein Mann eine Granate in seiner Hand. Ein anderes Mal kam jemand verzweifelt aus einem Minenfeld heraus auf mich zu. Er hatte eine große scharfe Mine unter dem Arm und in der Nähe waren Kinder. Ich musste ihn anschreien, damit er stehen blieb. Wir haben alle in Sicherheit gebracht und den Sprengkörper entfernt, aber die Mine hätte Dutzende töten können.
HI klärt in ganz Syrien Menschen über die Gefahren von Blindgängern und Minen auf. Das ist echt wichtig, um Menschen über das richtige Verhalten im Ernstfall zu informieren und Unfälle zu vermeiden.
Arbeitet ihr über die Räumung von Dörfern hinaus auch an der Infrastruktur?
Ja. Schulen sind ein großer Schwerpunkt. Wir haben drei Schulen in der Provinz Deir ez-Zor geräumt und planen, sie erneut zu besuchen, um zu sehen, wie viele Lehrkräfte und Schüler zurückgekehrt sind.
Außerdem arbeiten wir an der Haupt-Wasseraufbereitungsanlage in der Stadt Deir ez-Zor. Das ist die größte Anlage, die die gesamte Stadt mit Wasser versorgt. Sie ist von entscheidender Bedeutung: Wenn dort etwas passiert, könnte die ganze Stadt mitten in der heißesten Zeit des Jahres ohne Wasser dastehen. Wir wurden dringend um Hilfe gebeten, nachdem Munition in einem der Tanks vermutet wurde.
Wir werden mit einem Räumungsteam vor Ort sein, um die Lage zu beurteilen und das Gelände zu sichern. Das Gelände ist komplex und schwer zugänglich. Das heißt, dass nur speziell ausgerüstete Teams solche Arbeiten machen können. Zum Glück haben wir die notwendige Ausrüstung, Ausbildung, Erfahrung und qualifiziertes Personal.Der Einsatz an der Wasseranlage hilft schätzungsweise 350.000 Menschen, von denen etwa 65 % Frauen und Kinder sind. Er verringert auch direkt das Risiko von akutem Durchfall und Cholera.
Warum könnte sich Munition in einer Wasseranlage befinden?
Das ist in Konflikten nicht ungewöhnlich: Geschosse oder Bomben treffen manchmal die städtische Infrastruktur und, wenn sie nicht explodieren, liegen sie dort jahrzehntelang lang. Im Krieg kann die Unterbrechung der Wasserversorgung dazu dienen, die Bevölkerung zu vertreiben, Straßen zu blockieren oder andere Konfliktparteien in ihrer Bewegung zu behindern.
Wie entscheidet HI, wo als nächstes gearbeitet wird?
Das hängt teilweise von Anfragen der Gemeinden und humanitären Organisationen ab, die in kontaminierten Gebieten tätig werden wollen. Teilweise geht es auch um strategische Überlegungen. Z.B., um Infrastruktur zu priorisieren, die den Wiederaufbau beschleunigt.
Dazu gehören nicht nur Wasseraufbereitungsanlagen und Schulen, sondern auch landwirtschaftliche Lagerstätten. Diese sind für die Erholung des Landes von entscheidender Bedeutung. Nur so können wir in Zukunft genug Lebensmittel anbauen, um die Bevölkerung zu versorgen. Wenn man solche Standorte räumt, dann sorgt das langfristig für Stabilität, Ernährungssicherheit und Lebensgrundlagen.
Mit Ihrer Spende helfen Sie Entminungsprojekte umzusetzen und den Menschen in Syrien eine sichere Rückkehr nach Hause zu ermöglichen.
Das Auswärtige Amt unterstützt Entminungsprojekte in Syrien.
