Ukraine: „Streumunition ist etwas Grauenvolles“
Herr Volodymyr (59) aus Charkiw wurde bei einem russischen Angriff mit Streumunition schwer verletzt. Im Krankenhaus entfernten Ärzte ihm über ein Dutzend Splitter ohne Betäubung. Bis heute lebt er mit den Folgen der Explosion und der Angst, sein Bein könnte amputiert werden. Streumunition hinterlässt nicht nur sofortige Zerstörung – ihre grausamen Folgen begleiten die Betroffenen ein Leben lang.

Durch eine Streubombe wurde Herr Volodymyr (59) stark verletzt und leidet heute immer noch stark an den Folgen seiner Verletzungen. | © C. Wright / ICBL-CMC / HI
Angriff mit Streumunition: ein Morgen, der zum Albtraum wurde
Der 59-Jährige erinnert sich noch genau an den 28. Februar 2022. An diesem Morgen wollte er eigentlich nur kurz Milch für seine eineinhalbjährige Enkelin holen, die ganz in der Nähe wohnte. Kaum hatte er das Gebäude verlassen, begann der Beschuss – russische Truppen befanden sich in einer nahegelegenen Siedlung.
„Die erste Granate traf einen Baum nur wenige Meter neben mir. Die Druckwelle war so stark, dass sie mich unter den Balkon eines Hauses schleuderte.“
Die Explosionen dauerten rund 15 Minuten. Neun Menschen starben – einer von ihnen stand nur eineinhalb Meter neben ihm.
„Nach dem Angriff kroch ich zurück zu meiner Familie. Die Angst um sie, vor allem um meine kleine Enkelin, war überwältigend.“
Sein jüngerer Sohn half ihm ins Badezimmer – Der 59-Jährige war voller Blut. Seine Familie rief sofort einen Krankenwagen, der glücklicherweise schnell eintraf.
Ukraine: Operation ohne Betäubung
Eigentlich wollte er nicht ins Krankenhaus, doch der Notarzt machte ihm klar: „Ihre Verletzungen sind schwer, Sie müssen mit uns kommen.“ Es fiel dem Großvater schwer, seine Familie in diesem Moment zurückzulassen. Auf dem Weg ins Krankenhaus wurde der Krankenwagen von russischen Kontrollposten gestoppt. Arzt und Krankenschwester erklärten dem Soldaten, wie dringend er Hilfe brauchte.
„Ich sehe heute noch sein spöttisches Lächeln, bevor er sagte: ‚Lasst sie durch.‘“
Im Krankenhaus entfernten Ärzte bei einer Operation etwa 14 bis 15 Splitter aus seinem Körper – ohne Narkose.
„Es war die Hölle. Ich weiß nicht, warum sie keine Anästhesie verwendet haben – vielleicht, weil sie keine hatten oder nicht genug.“
„Wenn man von Streumunition verletzt wird, gibt es kein Ende.“
Ein Splitter steckt bis heute in seinem Hals, nur zwei Millimeter von der Wirbelsäule entfernt.
„Streumunition ist etwas Grauenvolles“, sagt Herr Volodymyr. „Ihre Folgen begleiten einen ein Leben lang. Ich muss von jetzt an sehr vorsichtig sein – ein Sturz oder Unfall könnte den Splitter in meinem Hals verschieben und mich noch schwerer verletzen.“
Der 59-Jährige erlitt bei dem Angriff schwere Verletzungen am ganzen Körper. Durch Komplikationen kam es zudem zu Nervenschäden – seitdem spürt er einen Teil seines linken Oberschenkels nicht mehr. Er kann sein linkes Bein nicht mehr belasten und wegen der Verletzungen nicht richtig gehen:
„Es fühlt sich an, als stecke mein Bein in einer Bärenfalle.“
Heute lebt er mit der Angst, dass sein Bein eines Tages amputiert werden muss.
„Wenn man von Streumunition verletzt wird, gibt es kein Ende. Dieses Erlebnis lässt mich nicht mehr los.“